Dank an einen Heiligen

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Altarbild von Hans Baldung Grien
Das Martyrium des Sebastian. Der Mittelteil des dreiteiligen Altarbildes von Hans Baldung Grien. Foto: Germanisches Nationalmuseum

Ein Zeugnis vorreformatorischer Frömmigkeit aus dem Germanischen Nationalmuseum

Das Sebastiansretabel des Nürnberger Malers Hans Baldung Grien aus dem Jahr 1507 gehört zu den Höhepunkten der Malerei der Dürerzeit und der Zeit vor der Reformation. Es entstand am Übergang vom Spätmittelalter zur Renaissance, was bedeutet, dass der Inhalt stark von mittelalterlicher Frömmigkeit geprägt ist, die Ausführung aber wegweisend modern ausfällt. An dem Kunstwerk lässt sich zudem vermutlich ein ganz persönliches geistliches Anliegen des Auftraggebers ablesen. Bestellt hatte es der Magdeburger Erzbischof Ernst von Wettin (1464–1513), einer der mächtigsten Kirchenfürsten des Heiligen Römischen Reiches, für seine Privatkapelle in Halle an der Saale. 

Als Retabel bezeichnet man einen Altaraufsatz, in diesem Fall ist es ein Triptychon, ein dreigeteiltes Gemälde auf Holztafeln gemalt. Zu bewundern ist der außergewöhnliche Flügelaltar im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Im Rahmen eines Online-Gesprächs mit dem Kurator Dr. Benno Baumbauer wurden Kunstinteressierten die Hintergründe dieses Altarbildnisses näher gebracht. Die Online-Gespräche ersetzen in der Pandemie die Kurzführungen an einem Abend. 

Die Frage nach dem Auftraggeber und dessen Intention stand im Mittelpunkt der Online-Betrachtung. Erzbischof Ernst von Wettins Vater war Kurfürst von Sachsen. Sein Bruder war Friedrich der Weise, der anschließend Kurfürst wurde und später dann Patron und Beschützer von Martin Luther war. Mit elf Jahren wurde Ernst zum Erzbischof von Magdeburg postuliert. Auch damals schon ein kritisch beäugtes Geschehen. Mit 25 wurde er schließlich zum Bischof geweiht.

Hans Baldung stammte aus Schwäbisch Gmünd und wirkte lange Zeit in Nürnberg. Er gehört in das enge Umfeld von Albrecht Dürer. Ob Baldung ein festes Mitglied der Dürerwerkstatt war ist derzeit umstritten. Die beiden Brüder, Kurfürst Friedrich, der sich von ihm auch porträtieren ließ und Ernst, weilten als Reichsfürsten des Öftern in Nürnberg. Möglicherweise begegneten sie hier dem Künstler persönlich.  „Wahrscheinlich ist, dass er die Arbeit in Nürnberg verrichtet hat, weil es für ihn von der ganzen Logistik her schwierig gewesen wäre, seine Werkstatt nach Halle zu verlegen.“

Kühnes Selbstbildnis

Auf der zentralen Tafel sieht man das Martyrium des Sebastian, eines Märtyrers der unter Kaiser Diocletian  lebte und aufgrund seines christlichen Bekenntnisses gemartert wurde. Er wurde mit Pfeilen beschossen. „Wie üblich ist Sebastian als fast nackter Mann dargestellt. Außergewöhnlich seine wilde Haartracht und die krude anmutende Eleganz die er ausstrahlt“, so Baumbauer. Auf der rechten Seite sieht man Diocletian – oder seinen Hofhalter – der mit einer Geste der rechten Hand die Bogenschützen anweist, das Martyrium auszuführen. 

Auffällig hinter dem Heiligen Sebastian und damit an der prominentesten Stelle im Gemälde, steht grün gekleidet Hans Baldung. Grün war vermutlich seine bevorzugt getragene Farbe, was sich am Spitznamen ablesen lässt: Hans Baldung Grien. So hat er dieses Bild auch signiert. „Das alles zeugt von riesigem Selbstbewusstsein“, so der Kurator. „Man würde höchstens den Auftraggeber an dieser wichtigen Stellung vermuten, aber auch für den wäre es eine Anmaßung gewesen, so nah an dem Heiligen zu stehen.“ Noch kurze Zeit zuvor wäre so etwas unvorstellbar gewesen.

Diocletian ist allerdings die wichtigste Person in der Darstellung. Gewandet in die höfische Kleidung des frühen 16. Jahrhunderts, mit den Beinlingen, in den Wappenfarben Ernsts, dem Brokatumhang, dem modischen Haarnetz und dem typischen Halsbart, lässt sie sich identifizieren: Es handelt sich, so der Kunsthistoriker, mit großer Wahrscheinlichkeit um ein Identifikationsporträt des Auftraggebers Erzbischof Ernst. Aber ein Selbstporträt, als einer der den Befehl zum Töten des Märtyrer gibt? Möglicherweise ist das Ausdruck dafür, dass Ernst sich als Sünder bekennen wollte. So zeigte er Demut und Reue am Opfertod des Heiligen; gute christliche Tugenden.

Der Erzbischof ließ in Halle die mächtige Moritzburg als Residenz errichten. Das wichtigste Gebäude dort war die Burgkapelle, das Herzstück der Anlage. Dafür wurde das Retabel in Auftrag gegeben.

Es gibt eine Theorie, aus welchem Grund Ernst von Wettin im Jahr 1507 ein Bildnis des Sebastian  bestellt hat. Denn 1503 erkrankte der Erzbischof an der Syphilis. „Er setzte ein Testament auf in dem es heißt, sein Körper sei jetzt mit ,Blödigkeit beladen‘“, so Baumbauer. Ernst litt mitunter an schmerzhaften Pusteln am ganzen Körper. „Man kann mit Verwunderung wahrnehmen, wie ein Erzbischof zu einer Geschlechtskrankheit kommt“, so der Kurator. 1505 unternimmt Ernst eine Pilgerfahrt nach St. Wolfgang. Offenbar wurde er dort von der Syphilis geheilt. Danach, 1507, stiftet er das Sebastiansretabel.   

„Der Heilige Sebastian hatte in der mittelalterlichen Frömmigkeit die Funktion, Gnade und Barmherzigkeit über die Jungfrau Maria und Christus dem Schmerzensmann bei Gott für von Seuchen befallene Menschen zu erflehen“, weiß der Kunsthistoriker. Ein anderes Werk im Nürnberger Museum stellt Engelscharen Gottes dar, die Pfeile auf die Menschen abfeuern, die symbolisch für Epidemien stehen, wie Pest und Syphilis. Man sah sie als von Gott gesandte Strafen. Sebastian war ja durch Pfeilbeschuss umgekommen. Die Pusteln könnten als Pfeilwunden gesehen werden. „Da liegt es nahe, dass Ernst sich durch das Retabel bei dem Heiligen für seine Genesung bedanken wollte“, so Baumbauer. 

Ein weiteres Indiz: Auf der Rückseite ist die Heilige Apolonia zu sehen, der bei ihrem Martyrium die Zähne herausgebrochen wurden. Durch die damalige Behandlung von Syphilis mit Quecksilber und Arsen fielen den Kranken die Zähne aus. 

Das Sebastiansretabel zeigt in welchen Vorstellungswelten   und Glaubensnöten in dieser vorreformatorischen Zeit selbst hochgestellte Adelige und Geistliche lebten. Martin Luther war ja ebenfalls Betroffener von Todesangst und Seelenfurcht vor dem Fegefeuer stark betroffen gewesen. Sein Ringen um die Erlösung und schließlich sein Weg zur reformatorischen Erkenntnis begann in ähnlichen seelischen Nöten.

Mehr Infos unter https://www.gnm.de