Andacht: Wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der Herr, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.

Jeremia 29, 13–14

Sie sollen Gott suchen und er wird sich finden lassen – wenn das so einfach ginge, denn das Volk Gottes ist verbannt nach Babylon, in Exil, in der Diapora leben sie.  – Sie sind nur wenige in fremdem Land. Eigentlich ist da nichts mehr zu hoffen, denn ihre Welt war über ihnen zusammengestürzt. Das Heiligtum, der Tempel liegt in Trümmern, und sie sind fern von der heiligen Stadt, fern von dem Ort, wo sie Gott begegnet sind. 

Da sitzen sie an den Wassern von Babylon und die Zeit wird lang, die Perspektive Zukunft scheint in weite Ferne gerückt zu sein. Die Frage: Wie wird es weitergehen angesichts der Fakten und Tatsachen: Wenige sind sie und dazu noch in einer schwierigen Situation. 

Die Situation der Kirche entdecke ich in dieser Beschreibung. Zwar sind wir nicht im Exil, aber zunehmend erlebe ich die Wirklichkeit der Christen in einer Diaspora, sie sind nicht mehr die Mehrheit.

Mancher Christenmensch fragt sich: „Was ist aus der Kirche der Reformation geworden? Wie kann es sein, dass sich eine Gesellschaft mehr und mehr von dem entfernt, was einst die Grundlagen des Lebens gewesen sind?“

Die Stimme von Christen im Alltag scheint keine Rolle mehr zu spielen. Christen gehen manchmal ganz verschämt auf die Seite, wenn andere laut daher kommen mit ihren Zahlen und Fakten. Die Zahl derer, die sich immer mehr daran gewöhnen, dass es auch ohne Kirche geht, nimmt ständig zu. Und alle Reformprozesse der Kirche scheinen ins Leere zu laufen. Die Perspektive Zukunft für die Kirche ist nicht positiv. Selbst wenn Kirchenleute über die Zukunft reden, dann meist mit einem perspektivlosen Unterton. 

Und dann kommt ein Brief – eine Nachricht aus dem fernen Jerusalem, aus einer fernen Zeit. Das Schreiben geht an die verbannte Gemeinde in Babylon und wir dürfen diese Worte des Briefes für uns hören und annehmen. Jeremia, der Prophet, schreibt ihnen und uns. Er fordert sie und uns auf: Bleibt dort, wo ihr seid. Lasst euch nieder und richtet euch ein. Sorgt dafür dass eure Jungen Familien gründen können, baut Häuser. Und „suchet der Stadt Bestes“.  Das heißt dann doch: Euer Auftrag ist: Dort, wo ihr lebt und seid, sollt ihr als Volk Gottes leben und arbeiten. Als Christenmenschen mitten in der Gesellschaft leben, ohne sich selbst aufzugeben. Die Identität als Christen leben, für die Menschen beten und für die Orte, an denen sie leben. Und sorgt dafür, dass ihr nicht weniger werdet. Darin höre ich den Auftrag, Evangelium weiter zu sagen, die Botschaft vom menschenfreundlichen Gott zu den Menschen bringen. 

Daran hat uns die Reformation erinnert: Leben als Gottesdienst, dort wo Menschen ihren Auftrag in der Gesellschaft leben. – Natürlich steht das immer in der Gefahr verkannt und übersehen zu werden. Und es kann schnell zur Überforderung werden, wenn wir meinen: Wir müssen das alles selber schaffen. Wir werden uns gegen den Trend stemmen und unsere Kreativität sorgt dafür, dass das Leben der Kirche wächst und gedeiht. – Da holt uns der Jeremiabrief mit seiner Gottesrede wieder ein: „Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.“ – Das gehört wohl zum ganz großen Herausforderungen des Glaubens. – Gott suchen und das Hören auf das, was Gottes Wille ist.  

Dekan Hermann Rummel, Wassertrüdingen