Editorial: Geschwisterlichkeit gegen geistige Enge

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Martin Bei-Baier Editorial Hintergrundbild Kraus

Geht es uns als evangelische Christen etwas an, wenn der Papst eine Enzyklika herausbringt? Nach ihrem Titel „Alle Geschwister!“ sind diesmal auch „wir“ mit einbezogen? Auch wenn sie im italienischen Original „Fratelli tutti“ – wörtlich „Alle Brüder“ – heißt, sind alle Menschen gemeint, Frauen, Männer, alt und jung, alle Religionen, alle Hautfarben, jede Herkunft über Nationalitäten hinaus. 

Denn es ist in ihr vor allem von „Geschwisterlichkeit“ die Rede. Der Papst wendet sich gegen eine Welt, in der er „verbohrte, übertriebene, wütende und aggressive Nationalismen wieder aufleben“ sieht sowie neue Formen des Egoismus.

Klar! Nicht nur der Papst macht sich um die Welt ernsthaft Sorgen und macht sich Gedanken, wie es nach Corona zu einer besseren Welt kommen kann. Das hat auch schon unser Landesbischof und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands öffentlich gemacht; und andere. Aber der Papst hat mit einer „Enzyklika“ ein Instrument, das beinahe überall in der Welt wahrgenommen wird. Und er macht klar, dass wir nach der Pandemie nicht mehr so weiter machen sollten wie zuvor. Er spricht von „einer weltweiten Gemeinschaft in einem Boot“.

Durch das Virus wären schonungslos die wunden Punkte des Miteinanders in den einzelnen Ländern und auch auf der Welt offengelegt worden, vor allem die Unfähigkeit, gemeinsam zu handeln. „Wir haben gesehen, was mit den älteren Menschen an einigen Orten der Welt, aufgrund des Corona-Virus, geschehen ist. Sie sollten nicht auf diese Weise sterben“. Für den Papst ist die Pandemie ein Zeichen, „unsere Lebensstile, unsere Beziehungen, die Organisation unserer Gesellschaft und vor allem den Sinn unserer Existenz zu überdenken“.

Er appelliert an die „Solidarität“, jeder müsse sich für die Schwäche anderer verantwortlich fühlen. Im Zentrum der Enzyklika steht daher das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Und er nennt konkret die Aufnahme und den Schutz von Migranten. Nicht nur die Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Naturkatastrophen fliehen, auch andere die auf der Suche nach Chancen für sich und ihre Familien sind, seien im Recht. Die Verfahren für Asylanträge sollten vereinfacht werden. Franziskus fordert von uns allen –also „tutti“ auf der Welt – nicht weniger als ein „offenes Miteinander.“ Da sind wir doch dabei!