Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt über neue Erkenntnisse zur Josefsgeschichte von Chefredakteurin Susanne Borée
Er sollte das Land vor der Hungersnot schützen – und nutzte diese Krisenzeit, um die Bevölkerung in Unfreiheit zu stürzen.
Ja, das stand überhaupt nicht in meiner Kinderbibel – auch während der Kindergottesdienste reichte die Zeit offenbar nicht aus, um bis zu dieser Episode zu kommen. Und dabei war die Geschichte Josefs – des Jungen, den die
bösen Brüder in den Brunnen schmissen und dann an Händler verkauften – durchaus dort immer mal wieder Thema.
Die „Zeit zwischen den Jahren“ nutzte ich, indem ich mich mit einer Gruppe in diese Geschichte versenkte. Und dabei einmal wieder feststellen konnte, dass in der Bibel so viel mehr steht als wir erinnern.
Als Josef zum Verwalter des Herrschers berufen wurde, ging der Plan damals wie folgt: In den Jahren des Überflusses sollten genug Vorräte gesammelt werden, die für die Zeit des Hungers zum Überleben dienten (1. Mose 41,47ff.). Dies wurde auch verwirklicht: Alle gaben einen Teil der Erträge, um Vorräte anzulegen.
Doch Josef gab diese keineswegs so einfach zurück: Die Bevölkerung musste sie teuer zurückkaufen. Als das Silber dafür ausging, musste das Volk zunächst die Herden, dann ihre Äcker und dann sich selbst verkaufen, um Essen zu erhalten (47,13ff.).
Zwang der Pharao Josef dazu – hatte er selbst diese Idee? Darüber schweigt die Geschichte. Gleichzeitig zeigt sie, wie Macht auch die besten Vorhaben verzerren kann. Kennen wir nicht solche Mechanismen aktuell ebenfalls zu Genüge?
Am Ende sind alle unfrei – abgesehen von zwei Gruppen: der Priesterschaft vor Ort und die Familie Josefs, die zwischendurch ebenfalls den Weg nach Ägypten gefunden hat. Großes Theater: Endlich erfolgt die Versöhnung, als Juda sich vor Benjamin stellt und Josef sich zu erkennen gibt: Alle sind glücklich – so weit bekannt, wenn auch durch das langsame Lesen da noch einige Details zu entdecken sind.
Doch die Strukturen „Ägyptens“ sind offenbar wirkmächtiger. Wie sieht es da etwa mit aktuellen Hilfen für ärmere Regionen aus? Schüren auch sie letztlich Unfreiheit? Natürlich hatte Josef seine neue Rolle nicht freiwillig gewählt, doch füllte er sie vollendet aus, während Juda Verantwortung lernt (Kap. 38, 43, 44). Auch so zeigt sich der unglaubliche Spannungsbogen dieser Komposition. Um Veränderungen muss gerungen werden – Neues blüht nicht so einfach auf. Trotzdem geht Gottes Geschichte auch da weiter.