Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Inge Wollschläger
Bei einer Veranstaltung mit betagten Menschen jenseits der 70 reden wir darüber, was jeden von uns morgens aufstehen lässt. „Woran haben Sie im Alltag Freunde? Was erfüllt Sie immer noch und immer wieder?“, sind einige der Fragen, die wir in dieser Gruppe besprechen wollen. Die Frauen und Männer überlegen. Es wird in Kaffeetassen gerührt und die Stimmung ist nachdenklich und andächtig in diesem Moment.
Alle von ihnen haben in ihrem Leben schon „ihr Päckchen getragen“. „Und nicht zu knapp!“, ergänzt eine der Frauen und schiebt ihren Rollator ein Stückchen zur Seite. An diesem Nachmittag sind sie zum Plaudern bei Kaffee und Kuchen zusammengekommen. Von einigen weiß ich, dass sie in ihrem Leben nicht oft mit Samthandschuhen behandelt und vor dem Unbill des Lebens nicht verschont geblieben sind.
„Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“ – nach diesem Motto erforschte der Psychologe und Psychiater Viktor Frankl, wie Sinnerfüllung auch angesichts schwerer Schicksalsschläge möglich ist und Menschen in die Lage versetzt, in Krisenzeiten seelisch heil zu bleiben.
„Heil“ scheinen sie zumindest auf den ersten Blick alle zu sein, wie sie hier zusammen schwatzen und sich Kaffee nachschenken lassen. Und dann beginnt eine zu erzählen: „Ich hab die Blumen so gerne und habe immer welche auf meinem Balkon. Die muss ich durch die Jahreszeiten bringen. Und zwischendurch sammle ich Samen und schaue, was daraus wird.“
Es rührt sich etwas in meinem Herzen, als ich das höre. Ein sehr alter Mensch, der Samen sammelt und neugierig ist, was daraus wird. Selten habe ich in der letzten Zeit etwas Mutmachenderes gehört als das. Die Gesundheit ist nicht die beste, der Radius der Beweglichkeit ist eingeschränkt – doch Samen wachsen zu sehen: das klappt.
Die alte Dame hat damit bei mir einen Samen „ausgesät“. Denn ich habe mich anschließend – im übertragenen Sinn – gefragt: Welche Samen säe ich wohl in meinem Leben? Bringe ich die Geduld und die nötige Sorgfalt auf? Werden meine kleinen, bewussten und unbewussten Handlungen ein Grundstein sein für Wachstum, Veränderungen und eine erfüllte Zukunft in meinem Leben und das derjenigen, denen ich begegne?