Lebenslinien: Vor 500 Jahren verstarb Friedrich „der Weise“, der Luther schützte
In Erinnerung blieb er vor allem als Beschützer Martin Luthers während der ersten stürmischen Jahre der Reformation. Doch diese Bewertung wird der Regierung Friedrichs des Weisen (*1463) nur teilweise gerecht – so Armin Kohnle. Im Vorfeld von Friedrichs 500. Todestages zum 5. Mai 1525 hat der Leipziger Kirchengeschichtler eine kompakte, denoch detailreiche und gut lesbare Biografie verfasst.
Sicherlich war dem Kurfürsten seine Rolle als solcher Schutzherr nicht in die Wiege gelegt worden. Seine Frömmigkeit erscheint eher mittelalterlich. Schon 1493 erfüllte er sich wohl ein persönliches Bedürfnis: Er pilgerte ins Heilige Land. Schon von dieser Reise brachte er zahlreiche Reliquien mit. Sie bildeten den Grundstock für eine bald ausufernde Sammlung von „18.970 Partikeln“ bei der letzten belegten Zählung 1520, so Kohnle – genug für gut zwei Millionen Jahre weniger Fegefeuer.
Friedrich regierte seit 1487 – da war Luther gerade mal vier Jahre alt. Erst 30 Jahre später schlug der Reformator seine 95 Thesen überhaupt an. Friedrich war da gerade unterwegs. Als sächsischer Kurfürst war er eine gefragte Person im Reich. Kaiser Maximilian schätzte sein diplomatisches Geschick. Der Kaiser war zu dieser Zeit jedoch schon betagt und krank, wohl mit Darmkrebs geschlagen, wie spätere Mediziner vermuten. Seine Tage waren absehbar.
Gleichzeitig hatte Friedrich durchaus die Interessen seines Landesausbaus im Blick, nachdem der damals 23-Jährige 1487 zusammen mit seinem jüngeren Bruder Johann die Herzogswürde über ein großes aber auch zerrissenes Gebiet geerbt hatte. Es gab damals in Sachsen kein klares Erbrecht der Erstgeborenen. Klingt fair, trug aber nicht zur Stärkung der Herrschaft bei. Friedrichs Vater Ernst und dessen jüngerer Bruder Albrecht hatten das Land noch 1485 geteilt. Bis 1513 regierte Friedrich mit seinem Bruder Johann einvernehmlich. Damals erst vereinbarten sie eine weitere Landesteilung.
So stand Friedrich trotz seiner besonnenen Art während seiner ganzen Regierungszeit vor der Herausforderung, verschiedene Interessen auszubalancieren. Zum inneren Ausbau des zerrissenen Landes gehörte es für ihn als Fürsten der Renaissance auch, Architektur und Kultur zu stärken. Er ließ mehrere Schlösser wieder herrichten und baute besonders seine Hauptresidenz in Torgau aus. 1502 gründete er zudem die Universität in Wittenberg. „Friedrich sah sich nicht nur als Nachahmer, sondern er wollte imponieren. Konkurrenzdenken, Repräsentationsbedürfnis und Sorge für den eigenen Nachruhm“ so Kohnle. Dabei zeigte der Fürst durchaus Geschmack.
Nach dem Tod Maximilians Anfang 1519 war Friedrich gar als Nachfolger im Gespräch. Doch lehnte er dies bereits im Vorfeld der Wahl ab – mit Verweis auf sein vorgerücktes Alter als Mittfünfziger – und vermittelte lieber. Mit seiner Hilfe wurde der junge Kaiserenkel Karl V. im Juni 1519 erwählt. Friedrich setzte federführend eine weitere Stärkung der Regionalgewalten durch.
In Erinnerung blieb gerade Friedrichs Lutherschutz-Politik. Andernfalls wäre wohl die gesamte „europäische Geschichte anders verlaufen“, so Kohnle. Warum aber entschied der Reliquienjäger so, dessen gesamte Sammlung durch die Reformation deutlich an Wert verlor? Ging es ihm um Gerechtigkeit, um die „Aufrechterhaltung seiner landesherrlichen Ansprüche“ oder „den Schutz seiner jungen Universität Wittenberg“? Schon früh weigerte er sich, Luther an Rom auszuliefern. Verhöre sollten in deutschen Landen stattfinden – so die Leipziger Disputation 1519. Gleichzeitig hielt sich Friedrich inhaltlich aus dem Konflikt heraus:
Aber er erteilte Luther weder Schreib- und Druckverbot, wozu er befugt gewesen wäre. Eine andere Frage ist, ob dies auch für einen Landesfürsten noch durchsetzbar gewesen wäre. Er spielte jedenfalls auf Zeit – die der Reformation zugute kam.
Gottes Urteil überlassen
Der Kurfürst ließ nicht zu, Martin Luther an die päpstliche Gerichtsbarkeit oder deren weltlichem Arm auszuliefern. Zum Reichstag in Worms 1521 setzte er bei Kaiser Karl V. durch, dass dem Reformator freies Geleit zugesichert wurde. Beim großen Auftritt Luthers vor Kaiser und Reich war auch der Kurfürst unter den Zuschauern. Dies sollte das einzige Mal bleiben, dass er ihn persönlich sah, wenn sie auch nicht direkt miteinander in Kontakt traten. „Viel zu kühn“, lautete Friedrichs Kommentar danach in vertrautem Kreis.
Doch nach der bald erfolgten Ächtung fand Martin Luther Zuflucht auf der Wartburg. „Stratege der Lutherschutzpolitik“ war jedoch Georg Spalatin, seit 1516 Hofkaplan und Geheimschreiber Friedrichs. Sein Fürst war offiziell nicht informiert – und äußerte sich nicht dazu. Er schwieg beharrlich weiter über seine Ansichten zur Reformation. Dies Schweigen wurde bald dröhnend.
Auch auf direkte Ansprache seiner Standesgenossen und Verwandten entgegnete er nur, „dass er sich in diese Dinge nicht einmischen wolle und keine Verantwortung für das übernehme, was die Theologen getan hätten“, so Kohnle.
Nur einmal, 1521, ließ Friedrich einen Blick hinter die Fassade zu: Als Venedig ihm neue Reliquien schickte, wies er diese zurück. Mehr noch, er betonte gar, dass er diese grundsätzlich nicht mehr wollte.
Trotz steigenden Drucks auf ihn wich der Kurfürst „von seinem Grundsatz nicht ab, die Reformation nicht aktiv zu befördern, aber auch nicht zu verhindern, solange Ruhe und Ordnung nicht gefährdet waren“. Dies alles getreu dem Grundsatz: „Ist dies Vorhaben oder dies Werk von Menschen, so wird’s untergehen; st’s aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten – damit ihr nicht dasteht als solche, die gegen Gott streiten wollen“ (Apg 5,38 f.). So deutet Kohnle das Verhalten Friedrichs. Und weiter: „Gegen das Wort Gottes wollte er sich nicht stellen, aber die bestehende Ordnung auch nicht aufs Spiel setzen, solange er nicht davon überzeugt war, dass das Wort Gottes genau dies von ihm verlangte.“
Veränderungen sollten ohne großes Aufheben geschehen. Spätestens im Vorfeld des Bauernkrieges – neben Friedrichs Todesdatum das große Ereignis dieses Jubiläumsjahres – erschien dies als unmöglicher Ausgleich. Dennoch sprach sich Friedrich als einer der wenigen Fürsten seiner Zeit für Verhandlungen aus. Doch da war er bereits zu sehr geschwächt. Nur wenige Wochen nach seinem Tod am 5. Mai 1525 waren die Bauern besiegt. Hätte er die Gewalt noch verhindern können?
Armin Kohnle schließt sich weiter der Ansicht Spalatins an, dass Friedrich sich „dem Evangelium“ langsam aber stetig annäherte. Und dies bis zuletzt: Auf dem Sterbebett verlangte er ausdrücklich nach Spalatin als geistlichem Beistand. Und Friedrich ließ sich das Abendmahl auf protestantische Art in beiderlei Gestalt reichen – dabei verzichtete er auf eine letzte Ölung. Sein Bruder Johann „der Beständige“ folgte ihm nach. Er behielt Spalatin weiterhin als Vertrauten. Susanne Borée
Armin Kohnle: Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen. Ev. Verlagsanstalt 2024, 392 S., ISBN 978-3-374-07642-0, 29 Euro.