Geistliche Nahrung selbst für die Ärmsten

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Dekan Veillodter (links) kümmerte sich vor 200 Jahren um Bibeln selbst für ärmste Jugendliche. Installation des Bibelmuseums zwischen damaliger Bil­derwelt und modernen Graphic-Novel-Elementen. Foto: Rehm (Bibelmuseum)
Dekan Veillodter (links) kümmerte sich vor 200 Jahren um Bibeln selbst für ärmste Jugendliche. Installation des Bibelmuseums zwischen damaliger Bil­derwelt und modernen Graphic-Novel-Elementen. Foto: Rehm (Bibelmuseum)

Lebenslinien: Nürnberger Verein kümmerte sich vor 200 Jahren um kostenlose Bibeln für alle

Meine Eltern sind zu arm, mir eine Bibel zu beschaffen, und wir brauchen doch die Bibel, um Gottes Willen daraus zu lernen. Ich danke Ihnen daher vielmals, dass Sie so gütig gewesen sind, mir eine Bibel zu schenken! Ich will jetzt fleißig daraus lernen und Gottes Gebote mein Leben lang vor Augen und im Herzen behalten.“ So herzzerreißend schrieb die Schülerin Anna Barbara Barthin aus Barthelmesaurach bei Kammerstein. Im Dezember 1825 erhielt sie das lang ersehnte Geschenk rechtzeitig vor dem Weihnachtsfest. 

Der Centralbibelverein in Nürnberg, 1824 endlich gegründet, gab da gerade seine erste Ausgabe in einem neuen billigeren Druckverfahren heraus. Nach langen Mühen hatte er endlich vor genau 200 Jahren seine Arbeit aufnehmen können. Zu diesem Jubiläum hat das Bibelmuseum Nürnberg, das dieser Verein trägt, seine zentrale Ausstellung über den Jahreswechsel hinaus gestaltet. 

Dabei erschien seine Gründung schon fast subversiv: Dekan Valentin Veillodter (1769–1828) wollte schon 1815 Bibeln an bedürftige Mitmenschen verteilen. Per Zeitungsannonce suchte er weitere Mitstreiter. Das fand der Polizeidirektor mit dem sprechenden Namen Christian Wurm gar nicht lustig. Er verbot diese Aktion. Sein Vorwurf: Die Gottesmänner unterhielten undurchschaubare Verbindungen ins Ausland.

Denn es gab direkt aus London eine Anschubfinanzierung für den Bibelverein. Dort war bereits seit der Jahrhundertwende eine solche Idee in die Tat umgesetzt worden. Das Verbot des Polizeidirektors klingt so, als wären wir geradewegs in Georgien gelandet – oder in noch dun­kleren Weltregionen. Immer noch dürfen dort Vereinigungen keine Unterstützung aus dem Ausland annehmen. 

Dabei gehörte Nürnberg erst seit wenigen Jahren zum Königreich Bayern, das sowohl vom Aufstieg als auch vom Fall Napoleons deutlich profitiert hatte. Nach dessen Sturz  war es kein Gegner Großbritanniens mehr. Doch Polizei und Obrigkeit wollten die Kontrolle behalten! Die bayerische Polizei schob dem Vorhaben einen Riegel vor: Es schloss sich ein jahrelanger Kampf für das Ziel „Bibel für alle“ an.

Doch Dekan Valentin Karl Veillodter ließ nicht locker. Der Sohn eines Nürnberger Kaufmanns erhielt 1809 die Pfarrstelle an der St. Aegidienkirche. 1814 wurde er Hauptprediger und Dekan an der Sebalduskirche sowie Schulinspektor der Vorstädte Nürnbergs. 

Er war hervorragend vernetzt: Zu seinen Kontakten etwa gehörte Johann Merkel (1785–1838), einer der einflussreichsten Kaufmänner Nürnbergs. Nebenher engagierte er sich in der Nürnberger Lokalpolitik und in zahlreichen Vereinen. Zudem war er mehrfach Landtagsabgeordneter in München. Sein alter Freund Veillodter konnte ihn als Vorstandsmitglied bei der Gründung des Bibelvereins gewinnen.

Auch der Kaufmann Johannes Scharrer (1785–1844) war mit im Boot des Bibelvereins. Er war in den 1820er Jahren zweiter Bürgermeister in Nürnberg. Daneben engagierte er sich für allerlei Projekte: Er gründete eine polytechnische Schule und eine Handelsgewerbeschule. Ab 1836 war er zudem Direktor der Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft – kurz nachdem Ende 1835 die allererste deutsche Adler-Lok von Nürnberg nach Fürth gedampft war. 

Das alles waren keine Umstürzler, auch wenn sie durchaus gegenüber den neuen technischen Möglichkeiten ihrer Zeit aufgeschlossen waren. Doch gleichzeitig setzten sie sich sehr für Bedürftige – die Verlierer der Industrialisierung – ein. Schließlich lebt der Mensch nicht von Brot allein – obwohl dies bereits damals für die Ärmsten fast unerschwinglich war. 

Bibeln linderten die Not

Doch selbst die Ärmsten scheinen ein unstillbares Bedürfnis nach geistiger Nahrung gehabt zu haben: Die 15-jährige Mary Jones aus Wales war bereits zur Jahrhundertwende 42 Kilometer gewandert, nur um eine Bibel in ihrer Muttersprache
zu kaufen. So jedenfalls wurde es überliefert. Der geistliche Thomas Charles soll davon so beeindruckt gewesen sein, dass er der 15-Jährigen drei Bibeln zum Preis eines Exemplars verkaufte. Nach diesem Gründungsmythos kam es bald darauf zur ersten Bibelgesellschaft in London.

In Nürnberg gelang es dem Team um Veillodter bald, gar die bayerische Königin Therese, die protestantisch geblieben war, für die Gründung eines Bibelvereins zu begeistern. Selbst die Frau des großen Philosophen Hegel – Maria Helena Susanne Hegel, geborene Tucher von Simmelsdorf aus einer Nürnberger Patrizierfamilie – und zwei ihrer Söhne gehörten zu den Mitgliedern des Centralbibelvereins. 

Befeuert durch Leid und Not der Armen unterstützten sie alle die Gründung der Bibelanstalt. Die Verhältnisse in Nürnberg waren damals beklemmend: Die einstmals stolze Reichsstadt war um 1800 stark überschuldet sowie von Kriegen und Krisen stark gebeutelt. Viele Gebäude waren marode und dringend renovierungsbedürftig, selbst wenn die Romantiker damals schon vom Flair der Stadt begeistert waren. Der Sandstein, aus dem viele Häuser bestanden, war anfällig für Schimmel und Feuchtigkeit. Außer einer kleinen wohlhabenden Gruppe aus Patriziern und Kaufleuten war das Leben der übrigen von insgesamt 20.000 Einwohnern von Armut geprägt. Doch die Möglichkeiten für grundlegende Verbesserungen sollten noch in ferner Zukunft liegen.

Bereits 1802 hatte Bayern eine allgemeine Schulpflicht eingeführt, auch wenn sie zunächst unter den Ärmeren nur schwer durchzusetzen war. Deren Kinder mussten schon früh mitarbeiten, um ihre Familien zu unterstützen. Dennoch war die Bibel das zentrale Bildungsbuch.

Noch gut 20 Jahre dauerte es, bis Nürnberg zum Zentrum der Industrialisierung in Bayern werden sollte. In dieser Zeit des Umbruchs ließen sich in vielerlei Hinsicht die Weichen neu stellen. Am Ende wurde aus einem Nürnberger Bibelverein gar der zen­trale Bibelverein für die ganze protestantische Kirche in Bayern. So konnten bald gerade in den fränkischen Gebieten viele dankbare Kinder Bibeln in der Hand halten – nicht nur zum Weihnachtsfest!

Die Ausstellung „Vitamin B! Bayern, Bibeln und Beziehungen“ zur Gründung des Centralbibelvereins ist bis zum 27. April 2025 im BIBEL MUSEUM BAYERN am Lorenzplatz zu sehen. Es ist dienstags bis freitags 10–17 Uhr geöffnet, am Wochenende und an Feiertagen meist 11–18 Uhr. Öffentliche Führungen sind in der Regel mittwochs um 12 Uhr und freitags um 16 Uhr (bitte 15 Minuten vorher ankommen). Mehr Infos auch über das Rahmenprogramm online unter https://www.bibelmuseum.bayern/ oder unter Telefon 0911/477789–400.