Aktuelle Forschungen zeigen, wie ein erster Refomationsversuch in Rothenburg scheiterte
Erst wollte er unbedingt die Verehrung Marias als besondere Wunderheilerin durchsetzen – und ließ dazu die damalige Rothenburger Synagoge enteignen. Wenige Jahre später predigte er genauso engagiert für die Reformation! Was ist von solch einem Prediger zu halten? Seine Leidenschaften waren Johannes Teuschlein jedoch offenbar bitter ernst.
Zum Wunderwirken Mariens verfasste Teuschlein eigens ein gereimtes Mirakelbuch in frühneuhochdeutscher Sprache. Der Theologe und Reformationshistoriker Gerhard Simon hat lange danach gesucht. Er fand endlich ein Druck-Exemplar in Krakau wieder. Dorthin lagerte es die Berliner Staatsbibliothek kriegsbedingt aus. Es hat keine Verfasserangabe. Doch es herrscht Einigkeit: Nur Teuschlein kann es gedichtet haben.
Das Poem ist nun dokumentiert und wurde bei einer Tagung in Rothenburg vorgestellt. Acht Forschende zur Geschichte der Reformation und des Judentums oder Archivare stellten nun die Ergebnisse ihrer Recherchen dar. Dies geschah unter der Federführung von Horst F. Rupp als gebürtigen Rothenburger und langjährigen Würzburger Professor für Religionsdidaktik sowie Gerhard Simon. Gleichzeitig gibt es eine umfangreiche Publikation dazu, die diese Jahre in Rothenburg lebendig werden lässt. Ferner hielt der bekannte Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann einen Vortrag über unterschiedliche Reaktionen einiger Reichsstädte auf den Bauernkrieg.
Lohnt die Lektüre der Mirakel? Der Text war bislang unbekannt, es gab nur kurze Hinweise darauf. Er bietet spannende Einblicke in damalige Weltsichten. Wie kam es dazu?
Seit 1512 hatte Johannes Teuschlein (* um 1485) in Rothenburg ob der Tauber eine gut dotierte Predigerstelle an der St. Jakobskirche inne. Nach seinem Theologiestudium bis 1505 in Leipzig hatte er noch im vorreformatorischen Wittenberg promoviert und eine erste Predigerstelle in Windsheim inne. Mehrfach bat er nun den Rothenburger Rat, seine Verpflichtung, wöchentlich drei Messen zu lesen, für wissenschaftlichen Studien zu verringern.
Teuschleins Bibliothek ist fast ganz erhalten und wartet auf ihre wissenschaftliche Auswertung. Das wohl bedeutendste seiner Werke ist ein lateinischer Augustin-Index. Auf der Rückseite des Titels (Bild oben) ließ er sich einerseits in humanistischer Manier präsentieren – andererseits kniet er vor seinem Bischof.
„Maria wirkte Wunder!“
Da erreichte Teuschlein eine Idee aus Regensburg: Die Synagoge dort wurde in die Kapelle „Zur Schönen Maria“ umgewandelt. Es begannen an der Donau Wallfahrten dorthin.
Ließ sich diese Idee auch auf die Synagoge in Rothenburg übertragen? Teuschlein stachelte 1519 wohl selbst Unruhestifter gegen die Juden auf. Der Rothenburger Rat wollte es geordneter und holte erst einmal überregionale Rechtsgutachten ein. Das änderte nichts: Im November 1519 „erlaubte“ der Rat „gnädiglich“ den letzten sechs jüdischen Familien, die Stadt zu verlassen – bis Mariä Lichtmess am 2. Februar 1520. Nun ließ Teuschlein auch diese Synagoge in die Kapelle „Zur Reinen Maria“ umwandeln.
Schnell setzte auch in der Tauberstadt eine lukrative Wallfahrt ein. Die wundertätige Maria kümmerte sich besonders um die Heilung angeborener Einschränkungen, die Folgen von Arbeitsunfällen oder um die neuartige Syphilis. Teuschleins Verse über 37 Heilungen holpern aber ziemlich, aber das machte nichts. Dafür hatten Teuschlein und der Rat aber wohl nicht geklärt, wer von den Einnahmen aus den Wallfahrten profitieren sollte.
Schon 1522 glaube Teuschlein nicht mehr an Wunder – schließlich lehnten dies nun die Reformatoren ab. Doch Wucherzinsen kritisierte er weiter – und war sowieso gegen Zehntzahlungen und die Riten der Altgäubigen. Ferner befand er sich im Konflikt mit Vorgesetzten und Kollegen. Der Rat beurlaubte ihn im Oktober 1524, was er ignorierte.
Dafür kannte Teuschlein aus seinen Wittenberger Tagen den Dozenten Andreas Bodenstein aus Karlstadt (1486–1541), den Doktorvater Luthers. Karlstadt feierte bereits zu Weihnachten 1521 das Abendmahl in beiderlei Gestalt und heiratete Anfang 1522 trotz seines Status als Geistlicher. Das ging Luther zu schnell, er lehnte auch Karlstadts Bildersturm in Kirchen ab. Im Herbst 1524 und erneut Anfang 1525 floh Karlstadt an die Tauber. Er lehnte zwar die Gewalt der zunehmend aufständischen Bauern ab, hielt aber an der neuen Abendmahlslehre fest.
Am 15. März 1525 verlas Florian Geyer in der St. Jakobskirche die Zwölf Artikel der aufständischen Bauern: Nur noch das Evangelium und das Wort Gottes sollten Geltung haben Zahlungen an die Kirchen waren einzustellen. Bauern aus der Landhege zogen lautstark nach Rothenburg: Geistliche und Adlige sollten ihren Privilegien ablegen, Abgaben sollten verringert sowie Wälder als Gemeingut genutzt werden.
Am 27. März erhob sich Alt-Bürgermeister Ehrenfried Kumpf gegen den Priester in St. Jakob bei einer Messfeier. Auch am Palmsonntag, 9. April 1525, gab es Unruhen während der Messe: Es flogen Steine gegen die Geistlichen. Darauf stand trotz der Karwoche das religiöse Leben still. Nur noch Teuschlein predigte am Karfreitag, 14. April: Gegen weltliche Obrigkeiten, die das freie Wort Gottes behinderten.
Bald schon übernahmen noch radikalere Kräfte das Ruder: Rothenburg schickte nun Geschütze nach Würzburg, um dort das Bauernheer gegen den Bischof zu unterstützen. Sie half dem Bauernheer bei der Schlacht bei Königshofen am 2. Juni.
Nach der dortigen Niederlage der Bauern hatte Rothenburg den Siegern massive Reparationen zu zahlen. Katholische Messen hielten wieder Einzug. Markgraf Kasimir aus Ansbach zog am 28. Juni in die Stadt ein, zwei Tage später mussten auf dem Marktplatz alle Einwohner den Untertaneneid schwören, 25 Anführer – unter ihnen Teuschlein – wurden enthauptet. Karlstadt und Kumpf waren bereits entflohen.
Nun gewannen in Rothenburg wieder katholische Kräfte die Oberhand. Doch die Einnahmen aus der Marienwallfahrt kamen wie zuvor gefordert der städtischen Almosenpflege zugute. Der Bauernkrieg verhinderte eine Generation lang die Einführung der Reformation in Rothenburg bis 1544. Bald darauf wurde die Marienkapelle abgerissen.
„Fesselnd“ nennt Horst Rupp die Beschäftigung mit Teuschlein. Das Mirakelbuch als Ausdruck einer Frömmigkeitspraxis mitten im Umbruch ist trotz allem ein spannendes Zeitzeugnis. Es bietet ein Beispiel für Verführungskünste gebrochener Charaktere, die längst nicht vergangen sind, sondern uns selbst ganz aktuell beschäftigen.
Horst F. Rupp/Gerhard Simon (Hg.): Der Rothenburger Prediger Johannes Teuschlein (ca. 1485–1525) im Spannungsfeld von Antijudaismus, Marienfrömmigkeit, Reformation und Bauernkrieg, Verlag Josef Fink 2024; ISBN 978-3-95976-508-4, 272 S., 39 Euro.