„Meistens sind die Männer stumm“

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Alexej Lachmann. Foto: Privat
Alexej Lachmann. Foto: Privat

Lebenslinien: Alexej Lachmann begleitet Männer, die sich trauen wollen, zu trauern

Seit vier Jahren ist sie weg. Einfach weg. Nach allem, was wir durchgestanden hatten.“ So steht es auf der Website von Alexej Lachmann. Die Trauer spricht aus vielen seiner Sätzen. 

„Witwer und nun?“ heißt die Seite im Internet, bei der er versucht, seine Trauer in Worte zu fassen. Damals, als seine Frau „ihren Durchschlupf fand“ und verstarb hatte er zunächst keine Worte. Auch Vorbilder – gerade auch von Männern – die über ihren Verlust redeten: Fehlanzeige. „Ich wollte verstehen, was mit mir gerade passiert. Ich wollte wissen, wie trauern funktioniert. Ist das normal, wenn man sich so fühlt, wie ich mich gerade fühle? Ich wollte trauern und hatte keine Ahnung, wie das geht.“

Als seine Frau starb, legte das Corona-Virus das Land lahm. Vieles war vor vier Jahren noch ganz anders, als es heute der Fall ist. Online Angebote gab es kaum. In Trauergruppen gab es kaum Männer und ebenso gab es zu dieser Zeit wenig Literatur zum Thema Trauer von Männern für Männer. „Dabei hätte ich so gerne mal mit einem Mann gesprochen“, erinnert er sich. 

Unterschiedliche Trauer

Der Prozess der Trauer ist individuell. Es ist zu beobachten, dass Männer oft einen anderen Zugang zur Trauer brauchen als Frauen. Hier geht es oft nicht um ein Gespräch in einer „weiblich organisierten Trauergruppe mit gestalteter Mitte“. Manchmal ist das gemeinsame Arbeiten im Garten mit einem Freund viel handfester. „Frauen fühlen sich durch die Trauer, Männer denken sich durch die Trauer. Sie funktionieren einfach anders. Die Witze und Sketche von Loriot über die Unterschiede in der Gesprächsführung kommen ja nicht von ungefähr. Warum soll sich das auf einmal ändern, nur weil Menschen einen Verlust erlitten haben? Warum sollten Männer, die wenig über ihre Emotionen sprechen, das in der Trauer auf einmal können? Männer stehen nebeneinander und schauen sich nicht in die Augen“, fasst Alexej Lachmann zusammen.

Nach dem Verlust eines geliebten Menschen fühlt sich das starke Geschlecht oft gar nicht so stark. Die Trauer wirft Männer manchmal völlig aus der Bahn. Ein Umstand, den Lachmann nur zu gut kennt. Ihm fehlte damals der Austausch mit anderen Männern. Denn „unter sich“ fällt es ihnen häufig leichter, die Scheu abzulegen und über ihre Gefühle zu sprechen. Und auch das Schweigen aushalten und die Pausen, wenn die Worte fehlen. Es fällt ihnen schwer, darüber zu sprechen, wenn sie traurig, mut- und kraftlos sind. „Wenn ich heute einen trauernden Mann frage, wie es ihm geht und er kurz und knapp sagt: ,schlecht‘, dann muss er mir nicht viel mehr erklären“, so Lachmann. „Dann weiß ich einfach Bescheid!“

Es sind große Emotionen nach dem Verlust eines Menschen, die viele Männer in einer Trauer- und Verlustkrise in dieser Form noch nicht kannten. Dieser Strudel intensiver Gefühle, in den sie hineingerissen werden, ist oft neu. Die eigene Verletzlichkeit, die sich da plötzlich zeigt, lässt nicht wenige Männer nach der Devise handeln: bloß nicht hinsehen. Verdrängen. Ausweichen. In die Arbeit zum Beispiel oder Sport. Wie soll man diese extremen Empfindungen auch beschreiben? Wie die passenden Worte finden? Oftmals trauern Männer mehr im Inneren und lassen sich nicht so schnell hinter die Fassade blicken. Das aber bedeutet nicht, dass sie nicht tief verzweifelt trauern. Und sich ohnmächtig und hilflos fühlen und völlig aus der Bahn geworfen sind.

Dazu kommen noch gesellschaftliche Normen und Rollenbilder, die ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Denn während Frauen oft zugestanden wird, emotionaler und verletzlicher zu sein, wird von Männern erwartet, dass sie „stark“ bleiben. Das kann dazu führen, dass Männer sich weniger Unterstützung suchen oder ihre Trauer öffentlich zeigen.

Raus aus der Hilflosigkeit

Doch diese Hilflosigkeit wollte Lachmann für sich selbst durchbrechen. Er meldete sich zu einer Ausbildung zum zertifizierten Trauerbegleiter an. Er schreibt auf seiner Homepage: „Ich bin auf der Suche nach einem Weg raus aus dem Chaos meiner zermürbten Seele und meines wunden Herzens. Ich versuche das Gute im Schlechten zu finden. Was zuweilen sogar überraschend gut und unaufwändig klappt. Ich will meine Liebe nicht verraten – nicht verlieren.“ 

Jetzt – vier Jahre später nach seinem Verlust – hat er Wege gefunden, mit seiner Trauer umzugehen. Und er möchte Menschen und vor allem Männern den Zugang erleichtern. Die Hilfe und Unterstützung, die er sich damals dringend gewünscht hätte, bietet er heute an. „Verlust ist Verlust“, sagt er. Die Frage ist: „wie wird es wahrgenommen und wie verarbeitet.“

„Willkommen im Club“

Heute ist er der „erfahrene Witwer“, den er sich damals gewünscht und gebraucht hätte. Er schreibt: „Als Witwer wünschst Du Dir, dass da jemand ist, der weiß wie es als Witwer ist. Erfahrungen im Umgang mit Trauer hat, Trauer kennt. Willkommen in Club in dem keiner Mitglied sein will!“

Und so gibt es neben einer Trauerbegleitung auch Geschichten aus seinem Leben – ob es um die Planung eines Grabsteines ist oder Tipps zum Einkaufen in der Trauer – das Ganze immer bekömmlich gewürzt mit einer Prise Humor. 

Für sich selbst trägt er hin und wieder „in dunklen Phasen“ seinen Trauerflor. „Es erklärt meinen Mitmenschen ein möglicherweise unerklärliches Verhalten. Es schützt mich, denn dann kommen kaum dumme Fragen, wenn andere dieses Zeichen meiner Trauer sehen.“

Sein Leben geht weiter – mit dem Verlust, den er erlitten hat. Seine Trauer wandelt sich und wird ihn weiter begleiten.

Die Website von Alexej Lachmann ist online zu finden unter https://www.witwer-und-nun.de

Infos zur Männerarbeit in der evangelischen Kirche in Bayern: https://www.maennerarbeit-bayern.de