Untertanengeist, kein Duckmäusertum

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Der Text des heutigen Sonntags liest sich, zumindest auf den ersten Blick, wie eine Anleitung zu kritiklosem Duckmäusertum: 

„Jedermann sei untertan der Obrigkeit. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott, wo aber Obrigkeit ist, da ist sie von Gott angeordnet.“

Aus Rm 13,1–7

Aha. Und was ist mit Unrechtsregimen wie dem sogenannten Dritten Reich oder islamistischen, faschistischen oder sonstigen Tyrannen? Nun könnte man entgegensetzen, Paulus habe nur gerechte Herrschaftsformen im Blick gehabt, als er diese Zeilen an die Gemeinde in Rom schrieb. Aber stimmt das denn? Auch Jesus wurde ja durch die Obrigkeit zum Tode verurteilt. Und es wirkt fast wie Ironie, dass Paulus, der vom gerechten Schwert der Obrigkeit schreibt, kurze Zeit später von ebendieser enthauptet wurde.

Angesichts des gottlosen Lebenswandels im römischen Reich zogen sich manche Christen damals bewusst aus der Gesellschaft zurück in ein abgeriegeltes Gemeindeleben, stets bedacht, mit dieser Gesellschaft nicht in Berührung zu kommen und sich womöglich dadurch zu beflecken. Vielleicht ging es Paulus gar nicht so sehr um den blinden Gehorsam gegenüber der Staatsmacht, sondern genau darum, dass Christen sich trotz aller Unvollkommenheit nicht daraus zurückziehen sollen. Statt aus Staat und Gesellschaft auszusteigen, soll man sich einbringen und im Rahmen der Regeln und Gesetze Gutes tun.

Außerdem betont Paulus, dass keine Obrigkeit sich selbst eine gottgleiche Macht anmaßen kann. Wenn die staatliche Obrigkeit von Gott kommt, dann ist sie eben nicht selbst Gott, auch wenn der römische Kaiser das anders sehen mochte. „Gott sitzt im Regimente“, heißt es in dem bekannten Kirchenlied „Befiel du deine Wege“. Gott ist es, der die Zügel in der Hand behält. Kaiser und Staat sind bestenfalls Werkzeuge in seiner Hand. 

Gute Staatsbürger können gelassen Steuern zahlen, die Gesetze achten und sich ins Staatswesen ein­fügen – in dem Wissen, dass die letzte Verantwortung Gott allein gilt. Und er letztlich alles zum Guten wird. Die christliche Gemeinde in Rom muss sich dem römischen Staat also nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert fühlen. 

Aber ist das nicht eine faule Ausrede, die jeden Widerstand gegen ungerechte Verhältnisse im Keim ersticken muss? Weder ein Dietrich Bonhoeffer noch die Mitglieder der „Weißen Rose“ hätten sich gegen das Naziregime gestellt, wenn sie das 13. Kapitel des Römerbriefes allzu wörtlich genommen hätten. Das stille und gehorsame Ausharren kann keinen Hitler verhindern. Zu viele haben zu lange gewartet und gehofft, dass das Blatt sich wenden werde. Manche taten das sicher auch unter Berufung auf Paulus. Und wenn sie die Geschichte wiederholt? 

Ich möchte darauf vertrauen, dass Gott über jeder menschlichen Macht steht. Ich möchte mich als Christin in dieser Gesellschaft und in diesem Staat engagieren, Steuern zahlen, Wählen gehen, mich in einer demokratischen Partei einbringen, arbeiten gehen und meinen bescheidenen Beitrag leisten, dass ich und andere gut und gern hier leben können. Solange ich es irgendwie mit meinem Gewissen vereinbaren kann, verhalte ich mich staatlicher Macht gegenüber loyal. Aber dort, wo Menschen gezwungen werden, gegen ihr Gewissen zu handeln und wo Menschenrechte mit den Füßen getreten werden, ist es aus Verantwortung gegenüber Gott und meinem Nächsten angebracht, deutlich zu widersprechen und zu protestieren.

Pfarrerin Christiane Maag

Gebet: Gott, ich danke dir, dass du Menschen zum Dienst in politischen und staatlichen Ämtern berufst. Schenke ihnen Weisheit in ihrem Amt und Freude an ihrem Dienst. Weise sie in ihre Schranken, wo sie Gefahr laufen, anderen zu schaden. 

Lied: 361,7 Befiehl du deine Wege