Geschärfte Argumente gegen Antisemitismus

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Chefredakteurin Susanne Borée, Hintergrundbild von Erich Kraus

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von der Kommissarischen Chefredakteurin Susanne Borée

Ist das Phänomen nicht selbsterklärend? Diese Frage stellte Jan Philipp Reemtsma fast etwas provozierend an den Beginn seines Vortrags über die „Grundmechanismen des Antisemitismus“. Damit läutete er die 14. Rothenburger Jüdische Kulturwoche „Le Chajim“ ein. 

Welche neuen Argumente brachte der Vortrag nun? Wer sich mit dieser „konstantesten Ideologie des Abendlandes“ (Reemtsma) schon einmal beschäftigt hat, erfuhr wenig historisch Neues. Eine neue Erklärung wollte er nicht bieten, so Reemtsma. Er brachte die Argumente aber auf den Punkt, wo sonst Sprachlosigkeit zurückbleibt.

Dennoch beeindruckte er: Denn eine dreiviertel Stunde lang trug er frei sprechend seinen Aufsatz „Antisemitismus – Was gibt es da zu erklären?“ vor, dann stand er noch für Fragen aus dem Publikum, vom voll besetzen Saal zur Verfügung. 

Antisemitismus sei deshalb so erfolgreich, so das Fazit, weil er sich „in frappierend guter Weise“ an unterschiedliche Milieus und Epochen sowie „dem herrschenden Jargon“ und den „umlaufenden Gegebenheiten“ anpasse. Beides übt große Faszination unter vielen Menschen aus, dafür brauchen sie nicht einmal „böse“ oder vom Teufel besessen zu sein. Er stifte Gemeinschaft, indem er „Fremde“ ausgrenze und die Macht verspreche andere zu zerstören. So weit, so bekannt: Dennoch formulierte er es beeindruckend prägnant. 

Dennoch bedeutet der 7. Oktober für Jan Philipp Reemtsma eine Zäsur: Denn seit dem Dreißigjährigen Krieg bestehe eine stillschweigende Übereinkunft, die Gräuel des Krieges zu leugnen oder zu vertuschen. Doch die Hamas rühmte sich ihrer Mordorgie gerade auch unter Kindern und der Gewalt gegenüber Frauen. Mehr noch, sie stellte entsprechende Bilder selbst ins Internet. Und viele feierten diese Gewalttat – schon vor dem Gegenschlag Israels. Deren Kriegsführung wollte Reemtsma daher auch nicht diskutieren.

Reemtsmas pointierten Äußerungen können damit auch als Vorbild für eigene Einwürfe dienen – sobald einem im direkten Umfeld Antisemitismus begegnet. Es hilft dabei, selbst nicht durch scheinbar überraschende Einwürfe der anderen sprachlos zurück zu bleiben. Und dies nicht nur rund um den 7. Oktober, den 9. November als Erinnerungsdatum der Pogromnacht oder dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar. Anlässe gibt es leider allzu viele.