Facettenreiches Estland erfahren, I

127
Blick auf die Altstadt Tallins, im Hintergrund die Olavkirche, die Stadtmauer und der Hafen, von dem die Fähren nach Oslo und Stockholm ablegen. Foto: Borée
Blick auf die Altstadt Tallins, im Hintergrund die Olavkirche, die Stadtmauer und der Hafen, von dem die Fähren nach Oslo und Stockholm ablegen. Foto: Borée

Fast grenzenlose Streifzüge mit dem Fahrrad im Nordbaltikum, seiner Kultur und Natur

Welche ist denn meine Lieblingssprache? Im Estnischen Nationalmuseum in Tartu stand ich mit einem Mal vor dieser Frage. Dabei wollte ich auf meiner Tour durch Estland nur eine Eintrittskarte lösen! 

Mit einem Handgriff überwand die Ticketverkäuferin sämtliche babylonischen Sprachverwirrungen. Sie konnte auf der Eintrittskarte schier alle möglichen Sprachen freischalten: Ich musste nur den Code an die Erklärungstafeln halten, die längst nicht mehr aus Pappe oder Messing waren, sondern digital. Sofort war meine persönliche Übersetzung. „Englisch“, murmelte ich schüchtern. „Oder haben Sie auch Deutsch?“ „Was nun?“

Schließlich ist es einfach unmöglich, irgendetwas auf Estnisch zu verstehen. Die Sprache gehört zusammen mit dem Finnischen und dem Ungarischen (sowie einigen indigenen Sprachen in den Weiten Sibiriens, wie ich im Museum erfuhr) so einem Verständigungszweig, der mit den sonstigen europäischen Sprachfamilien nichts zu tun hat.

Halt, das stimmt so nicht: Unterwegs mit dem vollgepackten Touren-Fahrrad, das ich mir in Tallinn entliehen hatte, um eine ordentliche Runde durchs Land zu drehen, warnte mich ein Hinweisschild vor „Trepp“. Ich überlegte noch, ob das Wort wirklich das heißen könnte, was ich befürchtete – da stand ich schon vor den Stufen. Und „rand“ heißt „Strand“: gut zu merken und ebenfalls nicht ganz unwichtig bei den heißen Spätsommertagen Ende August und Anfang September, die dort oben im Nordosten nur unwesentlich kühler waren als in Deutschland.

Immer mal wieder stieß ich auch auf deutsche Lehnwörter. Denn nicht nur die Kaufleute der Hanse siedelten dort am äußersten Rand der Ostsee, sondern auch die Nachfahren der Ordensritter und der so genannten Baltendeutschen, die ab dem späten 12. Jahrhundert dort einwanderten. Bald schon stellten sie die adelige Oberschicht auf den weiten Landgütern. 

Zunächst aber war in der Altstadt Tallinns (vormals Reval) das Amerikanische neben Japanisch derart dominant, das schier keine anderen Laute durchkamen. Nun ja, das kenne ich ja aus Rothenburg! Die kopfsteingepflasterten Straßen der Hauptstadt Estlands präsentieren ihren mittelalterlichen Stadtkern voller Stolz auf die Vergangenheit aus Hansezeiten. In ihr galt Lübisches Stadtrecht – wohl bis heute im Restaurant „Peppersack“, das sich ebenso gut zu verkaufen weiß.

=> Jubiläum der Reformation