Zumutung für die Zuhörerschaft

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Raimund Kirch als Ex-Chefredakteur der NZ und Mitglied im Herausgeberbeirat
Raimund Kirch als Ex-Chefredakteur der NZ und Mitglied im Herausgeberbeirat

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Raimund Kirch

Die Urlaubszeit neigt sich ihrem Ende entgegen. Trotzdem hier noch eine Reiseempfehlung, die mit dem Deutschlandticket der Bahn auch keinen oder nur ein-­
en geringen ökologischen Fußabdruck hinterlässt.

Nach Erfurt fährt der Regionalexpress RE 29 von Nürnberg aus fast mit ICE-Geschwindigkeit. Und Erfurt ist allemal eine Reise wert. Unter den vielen Gotteshäusern dort vom Dom über St. Severi und die Augustinerkirche, wo Martin Luther seine erste Messe las, hat uns die Predigerkirche besonders beeindruckt. In ihrer im Vergleich zu den anderen Gotteshäusern betonten Schlichtheit, ihrer Ausstrahlungen, aber vor allem deshalb, weil dort der Dominikanermönch Meister Eckart gewirkt hat.

Inzwischen eine evangelische Kirche brennt ihm zu Ehren eine Kerze im Chor. Im uralten Gestühl, wo er einst vielleicht selber saß, steht eine Vase mit Strohblumen. Der spätmittelalterliche Mystiker (1260–1328) war zu seiner Zeit ein Star; weil er auf Deutsch predigte und auf der Suche nach Gott Worte und Ausdrucksmöglichkeiten fand, die heute so aktuell sind wie damals. Eines seiner Themen ist die Gottesgeburt im Grunde der menschlichen Seele, ein Thema, das ihn mit fernöstlichen Mystikern und des Islam verbindet. Eckart lag daran, ein Gleichgewicht zwischen Innen und Außen herzustellen, zwischen dem tätigen Leben und der Besinnlichkeit. Damit nervte der Dominikanermönch seine Brüder und Vorgesetzten, die ihn bei der Inquisition anschwärzten. 

Seiner Verurteilung entging er durch seinen Tod im Frühjahr 1328. Mit einem Jahr Verspätung, am 27. März 1329, kam das Verdikt von Papst Johannes XXII. Nur noch 17 Sätze von 28 aus dem Werk Meister Eckarts wurden teils als häretisch angesehen, teils nur häresieverdächtig – weniger aus theologischer Sicht, sondern aus Sorge, dass ungelehrte Menschen in die Irre gehen könnten.

Auf die heutige Zeit übertragen wäre das nicht mehr möglich – allerdings habe ich manchmal den Verdacht, dass die Kirchenoberen uns Laien manchmal nicht mit den schwierigen Fragen der Theologie behelligen wollen und uns diesbezüglich auf Schmalkost setzen. Meister Eckart hat seinen Zuhörer etwas zugemutet. Das wünsche ich mir auch von Predigten und Beiträgen und hoffe damit nicht allein zu sein.