Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zum unkonventionellen Handeln Jesu

Jesus lehrte in einer Synagoge am Sabbat. Und siehe, eine Frau war da, … sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten. Als aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Frau, du bist erlöst von deiner Krankheit! Und legte die Hände auf sie; und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott. Da antwortete der Vorsteher der Synagoge, denn er war unwillig, dass Jesus am Sabbat heilte, und sprach zu dem Volk: Es sind sechs Tage, an denen man arbeiten soll; an denen kommt und lasst euch heilen, aber nicht am Sabbattag. Da antwortete ihm der Herr und sprach: Ihr Heuchler! Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke? Musste dann nicht diese Frau … am Sabbat von dieser Fessel gelöst werden? Und als er das sagte, schämten sich alle, die gegen ihn waren.

Lukas 13,10–17

Wie wird der Predigttext lebendig? Indem ich ihn auf aktuelle Fragen und auf die eigene Existenz beziehe. Dazu löse ich ihn aus dem Bereich Krankheit und reduziere ihn auf einen Kern: Jesus befreit die Frau am Sabbat aus ihrem Gebeugtsein und verteidigt sein Tun gegenüber einer bestimmten Auslegung des Sabbatgebots, indem er an den göttlichen Sinn des Sabbats erinnert, der ein Tag des befreiten Lebens sein soll. In einem zweiten Schritt übertrage ich diesen Kern auf ein Streitthema, das uns als Kirche schon vor Dekaden beschäftigt hat, um das aber in konservativen Kreisen bis zur Stunde gerungen wird: Die Segnung homosexueller Paare.

Was würde Jesus tun? Er würde wohl zwei homosexuellen Menschen, die auf Dauer zusammenleben, den Segen zusprechen. So wie er der Frau im Predigttext die Hände auflegt. Homosexuelle Christen sind vielleicht zerrissen zwischen ihrem Christsein und der Ablehnung, die sie aufgrund einer bestimmten Auslegung erfahren. So wie Jesus im Evangelium dem Vorsteher kontert, so könnte Jesus heute argumentieren: „Der biblische Kern ist ein Leben in Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe. Nach diesen Prinzipien ist die Bibel im Blick da­rauf auszulegen.“

Mich bewegt im Predigttext der Satz, dass sich am Ende die Jesusgegner „schämten“. Scham bedeutet hier, dass den Gegnern die Rede von Jesus einleuchtet und sie darüber erschrecken, wie sie bisher gedacht haben. Wie sich diese Scham anfühlt, haben prominente ehemals konservative Pfarrer schmerzhaft durchlebt. Klaus Douglass schrieb vor 20 Jahren, dass er, „wie ich zu meiner Schande gestehen muss“, erst allmählich von der Überzeugung loskam, dass Homosexualität eine Sünde sei. Michael Diener, ehemaliger Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, hat vor zwei Jahren um Vergebung gebeten, dass er queere und homosexuelle Menschen früher ausgegrenzt hatte. In die Reihe derer, die hier Umkehr erfuhren, kann ich mich einreihen.

Umkehr bedeutet Befreiung von der Zerrissenheit zwischen der Absicht, bibeltreu zu sein, und dem Wunsch, queeren Menschen in Liebe zu begegnen. Wer sich hier wie die verkrümmte Frau im Predigttext fühlt, kann durch die Erkenntnis befreit werden, was Gott eigentlich will.

Dr. Gerhard Gronauer, Kirchenrat in Ansbach

rotabene
An dieser Stelle schreiben verschiedene Autoren für das Evangelische Sonntagsblatt.