Kultur oder Kühle, Heimat oder Hilfe finden – was bleibt von Kirchen?

97
Chefredakteurin Susanne Borée, Hintergrundbild von Erich Kraus

Kommentar im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Susanne Borée

Bleiben vom Christentum himmelstürmende gotische Kirche, imposante Barockbauten oder moderne architektonische Wunderwerke an Gotteshäusern als kulturelle Höhepunkte der gebildeten Urlaubsreise? Durch sie schieben sich gerade zur sommerlichen Urlaubszeit Menschenmassen, die ein wenig Kühle nach der Besichtigung der sonnendurchglühten Altstadt finden. Schnell noch eine Kerze anzünden – aber bloß nicht zu lange bleiben: Hinter ihnen drängen Massen nach, die auch Kultur tanken wollen. 

Ist das die Religiosität der Zukunft, die sie die meisten Befragten der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU 6) wünschen? Nicht nur hier in Rothenburg bringen kirchenmusikalische Ereignisse im Sommer oder im Advent eine Anzahl von Gästen in die Kirche, wie sie beim Sonntagsgottesdienst längst nicht mehr erhofft wird.

Darunter aber auch Besucher, die das ganze Konzert über ihr Käppi tragen. Ist das wirklich wichtig, sich Gott mit unbedecktem Haupt zu nähern – gerade für Männer – oder eine überlebte Sitte? Und ist Gott überhaupt noch da?

Und warum kann ich den Blick nicht von diesem Kerl wenden, anstatt die „Ambassadors of Music“ zu genießen – reisende jugendliche Chöre aus den USA? Die sind nämlich wirklich gut! Sie bringen die Seele in Schwingungen. Zur Ruhe laden wiederum Offene Kirchen – am besten direkt am Radweg. Und am allerbesten, wenn sie gleich einen gekühlten Schluck Wasser bereithalten.

Nur irgendwer muss das Wasser gekühlt und bereitgestellt haben. Und irgendwer muss sich auch noch um die offene Kirche kümmern. Und das, obwohl auch immer mehr Kirchenmitglieder über einen Austritt nachdenken. Nur 27 Prozent der befragten Katholiken und 35 Prozent der Protestanten, die noch ihre Kirchensteuern zahlen, wollen laut KMU bleiben. 

Die Chancen auf weitere Mitgliedschaft steigen deutlich, wenn „sich die Kirche radikal reformiert“: Fast alle wünschen sich für Ehrenamtliche mehr Gestaltungsräume – also wohl deutlich mehr als gekühltes Wasser bereitstellen oder Kaffee kochen. Gesellschaftliches Engagement und den Einsatz für Geflüchtete oder Benachteiligte fordert eine Mehrzahl der Befragten. Wer aber macht es?

Die Pfarrer und Pfarrerinnen, die ohnehin schon immer mehr Gemeinden betreuen – oder der engagierte Rest der Kirchenmitglieder? Schließlich sind diese ohnehin besonders ehrenamtlich engagiert, sagt die KMU. Viele wünschen sich lebendige Gemeinden, die ihren Interessen entsprechen. Was das genau heißt, bleibt offen. 

Heimat in der Kirche zu finden – da geht mir das Herz auf! Gleichzeitig sind Christen nach Paulus Fremde in der Welt. Es hat auch eine gewisse Spannung mit dem Interesse an Kirchen als Reiseziele – sei es als Touristenmagneten oder Tankstellen für Kühle.

Sind meine Dankbarkeit für Kühle oder meine beschwingte Seele bei den „Ambassadors“ noch religiöse Gefühle? Ist Gott nicht längst aus den Kirchen ausgezogen? In die Stille. In den Dreck. Oder in funkelnde Wassertropfen. 

Mal ganz abgedroschen: Ist Jesus bei denen, die sich ein kühles Glas Wasser in einer Radwegekirche einschenken lassen oder eher bei der Einlasskontrolle der beliebtesten gotischen Kirche? Sitzt er an der Auswertung der KMU oder ist er gar nicht angekommen, weil er gerade mit einem Flüchtlingsboot im Mittelmeer untergegangen ist? 

Braucht es ihn für eine Kirchenmitgliedschaft? Einem wichtigen Kern des Christentums „Ich glaube, dass es einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus zu erkennen gibt“ stimmen 19 Prozent zu. Manche  Theologen finden diesen Satz durchaus steil, aber es geht der KMU offenbar wenig um Glaubensinhalte. Das geht für mich deutlich mehr ans Eingemachte als der Kerl mit Käppi in der Kirche. Warum sind gut doppelt so viele Menschen hierzulande überhaupt noch Mitglied einer der beiden großen Kirchen?