Jetzt ist die Zeit – Gott begegnet uns

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zur prophetischen Gottesbegegnung

Ich sah den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm … Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch. Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. 

aus Jesaja 6, 1–8

Jetzt ist die Zeit!“ – So lautet das Motto des Kirchentags, zu dem zigtausende Menschen in dieser Woche in Nürnberg zusammenkommen werden. Es wird Zeit sein für Konzerte und Kulturgenuss, Diskussionen und Zeitansagen, Begegnungen und Gespräche – und sicher auch für besondere geistliche und heilige Momente.

„Jetzt ist die Zeit!“ – Die war für Jesaja vor etwa 2.760 Jahren gekommen. Da hat er eine Vision: Er steht im Tempel vor dem Thron Gottes. Atemberaubend! – Alle Sinne, der ganze Mensch wird erfasst und überwältigt von der Gegenwart Gottes. Und er spürt: Ich bin diesem Gott nicht gewachsen. Er übersteigt alles, was ich sehen, hören und denken kann! Was hier erzählt wird, das ist keine Geschichte vom lieben Gott, der mal freundlich vorbeischaut. Hier offenbart sich die Macht Gottes: Gewaltig und überwältigend, größer als alles – der Mensch vor Gott erkennt seine Unvollkommenheit, seine Winzigkeit, seine Sünde. „Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen …“ – Jesaja vergeht in Todesangst, weil er die Herrlichkeit Gottes geschaut hat.Andererseits ist Gott ja ihm erschienen, hat ihn quasi „zur Audienz gebeten“! Und so reinigt dann auch ein Engel seinen Mund mit glühender Kohle – ganz ohne Brandblasen. Die Schuld weicht und die Sünde wird gesühnt.

„Jetzt ist die Zeit!“ Jesaja steht vor Gott. Und er kann Gott auf die Frage „Wen soll ich senden?“ antworten: „Hier bin ich, sende mich!“ „Jetzt ist die Zeit!“ Auch wir sind herausgefordert immer wieder zu fragen, wozu bin ich eigentlich gesandt?  Vermutlich werden wir keine solch atemberaubenden Berufungsvisionen kennen wie Jesaja – und wir werden sie wohl auch nicht auf dem Kirchentag erleben. 

Aber sicher wird es in Nürnberg emotionale Momente geben, „Gänsehaut“ bei Konzerten oder die eine oder andere Träne beim Nachtgebet.  Denn wir können mit der Gegenwart Gottes rechnen – nicht nur bei den Gottesdiensten. Gott sehnt sich nach uns Menschen – und er kommt uns nicht nur als der Mächtige nahe. 

Daran erinnert der Sonntag Trinitatis. Unser Gott begegnet uns in Vater, Sohn und Heiligem Geist. Dem Vater begegnen wir in der Schöpfung, den grandiosen und den zarten, filigranen Schöpfungswerken. Den Sohn sehen wir bezeugt im Neuen Testament. Wo Gott in Jesus Christus wirklich Mensch wurde. Durch ihn zeigt er uns: Ich spreche euch Menschen gerecht – ihr seid mir recht!

Und wir können Gott auch in uns selbst begegnen: Wo sein Heiliger Geist uns bewegt, in seinem Namen zu handeln. Wo unser Herz für diesen Gott brennt. Wo wir Freude daran haben, mit anderen Christinnen und Christen zusammen zu sein und zu feiern. Er kann mir als allmächtiger Herr begegnen und auch im Freund, der mich liebevoll tröstet. So vielfältig wie Gott ist, so vielfältig sind seine Wege uns nahe zu sein – auf Kirchentagen und im Alltag. Jedes Mal ist der gleiche Gott am Werk, der Eine in Vater, Sohn und Heiligem Geist. 

Pfarrer Martin Gundermann, Bamberg