Die Hiobs in der Nachbarschaft

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern über Anfechtung

Und Hiobs Frau sprach zu ihm: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb! Er aber sprach zu ihr: Du redest, wie die törichten Frauen reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen.

aus Hiob 2,1–10 (11–13)

Das ist für mich unlogisch und ganz und gar ärgerlich. Dass Gott sich auf zwei Deals mit dem Satan einlässt! Er lässt sich dazu überreden, Hiob, den frommen und rechtschaffenen Mann zu verderben. Und: Wenn der Satan an die Gesundheit Hiobs geht, dann wird er Gott bestimmt verfluchen. Krankheit ist für den Satan also das Mittel dafür, dass der Mensch vom Glauben abfällt. Unglaublich, auf was sich Gott da einlässt.

Es gibt viele Erklärungen, um dieser Erzählung auf die Spur zu kommen: Gott ist der Herr über Gutes und Böses. Der Satan, der Teufel oder die dunklen Mächte haben nur eine begrenzte Macht. Das Leben des Hiob wird verschont. Hiob hält gegen allen Anschein am Glauben fest. Nicht zuletzt: Das Gute nehmen wir gerne von Gott an; aber dann, wenn es uns schlecht geht, zweifeln wir oder verfluchen Gott.

Was nützen diese Erkenntnisse aber dem Menschen, der die Nachricht bekommt, dass er nicht mehr lange zu leben hat? Was nützt das dem Menschen, der von Kindesbeinen an krank ist, der von Schmerzen geplagt wird oder mit einer Behinderung leben muss? Was nützen all die biblischen Erklärungsversuche den Menschen, die vom Schicksal geschlagen und gebeutelt werden? Dem vom Leid Geplagten wird es egal sein, wer der Verursacher seines Leidens ist. Er wird vielmehr die Frage stellen: Wieso? Weshalb? Warum gerade ich?

Man muss hier einfach eine Lanze brechen für die Menschen, die ihren Glauben inmitten des Leidens bewahren. Viele Hiobs gab es in der Vergangenheit und gibt es in der Gegenwart. Und ich sehe im Besonderen auf die Menschen um mich herum: Trotz Krebs geht man gerne in den Gottesdienst und unterstützt das Gemeindeleben. Trotz des Verlustes eines Kindes nimmt man am Bibelkreis teil. Trotz der psychischen Krankheit singt man im Kirchenchor mit. Trotz der Belastung mit der eigenen Behinderung gestaltet man den Kindergottesdienst. Trotz …

Diese Menschen, die ich in meiner unmittelbaren Umgebung erlebe, sind für mich wie Hiob: Sie sagen mir: „Ich verstehe zwar nicht, warum es gerade mich getroffen hat, aber ich weiß Gott an meiner Seite!“ Sie sind für mich die wahren Helden des Lebens. Sie sind meine Vorbilder im Glauben. Sie machen mir Mut. Und sie machen mich zugleich demütig, bescheiden und dankbar.

Die Hiobs in der Nachbarschaft: Sie sollten wir viel bewusster wahrnehmen. Auch wenn uns Gott im Leiden unbegreiflich bleibt und alle Versuche einer Erklärung dafür scheitern, so schenkt er uns mit diesen Glaubenshelden des Alltags doch die Kraft, alle Schwierigkeiten zu bestehen und seine Gegenwart durch sie neu zu erleben. Amen

Pfarrer Matthias Rückert, Seibelsdorf/Markt Rodach

Gebet: Lieber Gott, wir danken dir für Menschen, die in ihrem Leiden an Dir festhalten.  Schenke ihnen weiterhin viel Kraft, viel Zuversicht und einen starken Glauben. Wir bitten dich, lass uns diese Vorbilder im Glauben wahrnehmen, so dass auch wir, gestärkt im Glauben, allen Leidenssituationen gewachsen sind. Danke, dass Du uns immer nahe bist. Amen

Lied 622,1: Ich möchte Glauben haben, der über Zweifel siegt