Konsens statt Kampfabstimmung

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Editorial von Susanne Borée, Redakteurin und Chefin vom Dienst beim Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern über die weitere Entwicklung zur ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe

Kampfabstimmungen gab es nicht, auch kein eindeutiges „Ja“ oder „Nein“ bei Voten. Zwar konnten die Delegierten der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), die am 8. September zu Ende ging, orange oder blaue Zettel hochhalten, doch das waren „Tendenzkarten“. Orange hieß: „Ich werde warm mit dem Vorschlag.“ Die blaue Karte sagte aus: „Ich stehe dem Beschlussvorschlag noch kalt gegenüber.“ Oder: „Ich möchte einen wichtigen Einwand vorbringen.“ Beide Karten gleichzeitig, das galt nicht etwa als ein Unentschieden, sondern sagte aus, dass die Person eine Entscheidung oder die Diskussion abbrechen möchte.

Das erscheint gewöhnungsbedürftig – wie auch so manche andere Rituale bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen. Ziel ist es jedoch, möglichst viele Gemeinschaften bei Entscheidungen mit ins Boot zu holen.  

Fast wie ein Wunder mutet es an, dass es dann doch eindeutige Entscheidungen gab – wie die Wahl des bayerischen Landesbischofs Heinrich Bedford-Strohm zum neuen Vorsitzenden des ÖRK-Zentralausschusses. Auch das Sonntagsblatt gratuliert.

Bei strittigen Themen bleiben dann anderseits verschiedene Stimmen nebeneinander stehen – wie bei den Vorwürfen zu antijüdischen Haltungen oder auch zum Ukraine- Krieg. Denn auch kleine Minderheiten innerhalb der Vollversammlung sollen gehört und beachtet werden.

Netzwerk wird bei einer solchen Vollversammlung groß geschrieben. Und zwar mit jedem einzelnem Buchstaben. Das birgt dann natürlich die Gefahr, dass viele Prozesse der Entscheidungsfindung von außen schier nicht nachvollziehbar sind. Dass fast in unendlichen Wiederholungsschleifen Delegierte und besonders Würdenträger ähnliche Nuancen setzen: Alle sind für Frieden und Klimawandel, für Ökumene und Verständigung. 

Soll da die Welt noch zuhören? Ja, ansonsten verpasst sie viel: Etwa die Aussage des griechisch-orthodoxen Metropoliten Nifon von Targoviste, einem der bisherigen Vizevorsitzenden des ÖRK-Zentralausschusses zum Abschluss der Versammlung: Zwischen den russisch-orthodoxen und ukrainischen Delegierten habe es auch etwas „zwischen Schweigen und offiziellen diplomatischen Gesprächen“ gegeben. Ein hoffnungsvolles Zeichen – sollte es den Lauf der Ereignisse ändern?