„Hand aufs Herz“

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Editorial Inge Wollschläger im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Inge Wollschläger

Ein Rabbi in der jüdischen, mystischen Tradition lehrte seine Schüler einst, sich die Gebete, die heiligen Lehren und Orte einzuprägen, über sie nachzudenken und sie sich dann auf ihr Herz zu legen. Ein Schüler fragte eines Tages den Rabbi, warum er immer sagte „auf das Herz legen“. 

Und der Meister antwortete: „Nur durch Gnade können die Lehren in unser Herz gelangen. Wir sprechen sie hier, lernen sie und legen sie auf unser Herz und hoffen, dass sie irgendwann, wenn das Herz aufbricht, hineinfallen werden.

Wie oft passiert es uns, dass wir irgendeine Geschichte hören oder lesen – und obwohl sie uns für einen Moment tief beeindruckt hat, vergessen wir sie schnell wieder. Diese Erzählung, wie ein Herz durch Gnade aufbrechen kann, beeindruckt mich sehr. Ebenso die Idee, sich wichtige Sätze auf das Herz zu legen.

Was fehlt, damit uns etwas ganz und gar durchdringt? Übung und stetiges Wiederholen – ganz so als wenn wir Vokabeln einer neuen Sprache lernen? Oder ist es „in den Schuhen eines anderen eine Weile herumlaufen“, damit es tief in uns ankommt? Sicherlich braucht es beides. Was aber ganz entscheidend hinzukommen darf, ist ein besonderer Funke. 

Nun feiern wir den Heiligen Geist. Wenn er mich packt, mich weckt, mich durchschüttelt – dann bin ich begeistert. Dann bricht unser Herz auf und Weisheiten aller Art können dort hineinfallen und unser ganzes Leben neugestalten. Dann weht ein ganz neuer Wind durch unser Leben. Aber: „Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht.“ Man kann ihn weder sehen noch mit den Händen greifen. Festhalten schon gar nicht. 

Genau dieses nicht-auf-Knopfdruck-verfügbar-sein macht den „Heiligen Geist“ aus. Es ist die Energie, die darin steckt. Sie steht für die Kraft, die plötzlich – wie aus dem Nichts – spürbar ist. Wenn das Leben einen so richtig durcheinanderwirbelt, wenn man „stürmische Zeiten“ durchmacht, kann einem diese Kraft zur Verfügung stehen. 

Wir haben es nicht immer in der Hand, wie wir vom Leben durchgeschüttelt werden. Es kann gewiss nicht schaden, einen Vorrat an Weisheiten beizeiten auf sein Herz zu legen und auf den Heiligen Geist zu vertrauen.