Vergebung an oberster Stelle

424
Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Und es geschah das Wort des Herrn zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr: Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen. Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und riefen ein Fasten aus und zogen alle, Groß und Klein, den Sack zur Buße an. Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.

aus Jona 3,1–10

Der Prophet Jona soll den Bewohnerinnen und Bewohnern von Ninive Gottes Wort mitteilen und kündigt den Untergang der Stadt an. Gott sagt nicht: „Wenn ihr euer Verhalten nicht ändert, dann wird Ninive untergehen.“ Sondern: „Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen.“ Punkt. Das klingt für mich ziemlich endgültig. Und doch besinnen sich die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt inklusive König ganz plötzlich und hüllen sich in Sack und Asche, kehren um, tun Buße und fasten. Denn „wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass [sie] nicht verderben“. Und tatsächlich, obwohl die Ankündigung Jonas doch endgültig klang, am Ende tut Gott das Übel nicht, das er angekündigt hatte. Ein radikaler Sinneswandel.

Mit solchen Sinneswandeln habe ich in meinem Leben meine liebe Not. Ich will mich doch darauf verlassen, was mein Gegenüber sagt. Heute so und morgen anders – das macht mich meistens ziemlich wütend. Und wie ist das mit Gott? Kann ich mich auf Gottes Wort etwa auch nicht verlassen? Diese Geschichte zumindest zeigt, dass auch Gott es sich nochmal anders überlegen kann.

Aber nicht, weil er nicht ver-lässlich zu seinen Aussagen steht, sondern weil bei ihm Vergebung und Gnade an oberster Stelle stehen. Und wenn er sieht, dass
Menschen ihr Fehlverhalten wirklich bereuen und umkehren, dann kann er gar nicht anders, als ihnen zu verzeihen und selbst seine eigene Aussage nicht wahr werden zu lassen.

Mir fällt das so oft so schwer. Sowohl meine Fehler einzugestehen und mich zu entschuldigen, geschweige denn mich in Sack und Asche zu hüllen. Aber auch anderen zu verzeihen, wenn sie mir Unrecht getan haben, kann eine große He-rausforderung sein. Beides hat mit Verletzung zu tun. Wenn ich um Verzeihung bitte, dann mache ich mich verletzlich und hoffe, dass mein Gegenüber mich nicht mit den Augen eines kleinlichen Kritikers sieht, sondern mit den liebevollen Augen eines Menschen, der weiß, dass wir alle Fehler machen. Dann hoffe ich auf einen Sinneswandel beim Gegenüber und dass es ihn Sack und Asche reut. Sooft mich solche Sinneswandel sonst auch wütend machen, wenn es um Vergebung geht, dann hoffe ich sehr darauf.

Und mit dieser Hoffnung im Herzen will ich auch reagieren, wenn mich jemand um Verzeihung bittet. Sicher bin ich nicht so gnädig, barmherzig und von großer Güte wie Gott. Und die wenigsten werden sich vor mir in die Asche setzen. Aber ich glaube es lohnt sich, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass Christsein auch bedeutet, ab und an Vergebung und Gnade an oberste Stelle zu stellen, so dass wir alle immer wieder eine neue Chance bekommen können – von Gott sowieso und hoffentlich auch von unseren Mitmenschen.

Pfarrerin Yvonne Renner, Friedenskirche München-Trudering