Morgenroutine

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern über Innere Werte

So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld;  und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. 

aus Kolosser 3, 12–17

Ich hatte den Beginn dieses Textes eine ganze Zeit lang bei mir am Badezimmer hängen. Jeden Morgen habe ich mir nach dem Zähneputzen vorgestellt, wie ich mich anziehe mit diesen besonderen Gaben. Wie ein Kleidungsstück habe ich Erbarmen übergestreift und die Freundlichkeit. Mich gefragt, wo ich wohl die Demut tragen würde? Was die Sanftmut für eine Farbe hat und ob Geduld mehr ein Schmuck- oder Kleidungsstück wäre? 

Und ich muss sagen, das hat meine Tage verändert. Natürlich ging im Lauf des Tages manches verloren. Da habe ich mich dann im Streit mit einem Familienmitglied nicht zwangsläufig mehr an meinen Freundlichkeits-Pulli erinnert. Oder wenn mich auf dem Rad einer angehupt hat auch nicht immer mehr meinen Sanftmut-Schal bemerkt. Aber immer wieder eben doch. 

Eine außergewöhnliche Garderobe empfiehlt uns dieser Text. Wie anders wären wir, wenn wir uns dieser imaginären Kleidung, die uns Christen hier ans Herz gelegt wird, öfter bedienten und bewusst wären? 

Vergebt Euch! Ruft der Text uns zu. Wieviel Unfrieden könnte damit beigelegt werden? Wie viele Wunden endlich einmal heilen? Und dann sollen wir uns auch noch anziehen mit der Liebe, dem Band der Vollkommenheit. Das könnte natürlich jetzt schnell in den Kitsch abrutschen, aber Kitsch kann keine Vergebung. Kitsch liiert sich eher mit dem Drama. 

Die Liebe, die hier beschrieben wird, ist eine Liebe, die vergibt. Die Fehler verwandelt. Eine vollkommene Liebe, wie sie uns unter Menschen wohl kaum begegnet, aber umso mehr, wenn wir auf den Auferstandenen blicken. Ihn, mit dem wir erst vor einem Monat gelitten und ihn dann gefeiert haben. Dieser Christus – auch ihn sollen wir aufnehmen in unsere Morgenroutine und mehr noch in unser Herz einlassen. Seinen Frieden – ein Friede also, der ernst macht mit Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, der geraderückt und Wunden säubert und verbindet. Ein Friede, der höher ist als alle Vernunft. Das ist kein Friede von dieser Welt auf den wir ja doch Tag für Tag warten – oft voll Sehnsucht, oft schmerzlich, manchmal ohne es wahrzunehmen.

Der Friede Christi ist Friede, der im Herzen beginnt. Ein Friede, der unsre alten Wunden reinigt. Das tut oftmals weh, aber viel schmerzhafter ist, sie nie richtig heilen zu lassen. Der unsere Unachtsamkeit, unsere Traurigkeit, unsere Ruhelosigkeit und unsre Scham nicht beiseiteschiebt, sondern ansieht ohne Vorwurf, ohne Entsetzen und sie integriert in SEINE Idee für unser Leben. Damit wir unserem großen Gott singen können und unsere Stimme erheben für IHN in dieser Kantate-Woche und IHN preisen und ehren. Wie wäre es also, wenn wir unsere Morgenroutine einmal überdenken und uns kleiden, wie der Text uns empfiehlt? Wie anders wäre unser Tagesbeginn? Wie anders unser Alltag? Wie anders diese Welt? 

Pfarrerin Susanne Spinnler, Kirchrüsselbach

Gebet: Herr, kleide mich ein mit Erbarmen. Mit Freundlichkeit. Mit Demut. Mit Sanftmut. Mit Geduld. Dass ich in deinem Sinn meinen Tag beginne. Amen 

Lied 302: Du meine Seele, singe