Schwierige Entscheidung über Leben und Tod

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Martin Bek-Baier
Chefredakteur Martin Bek-Baier, Hintergrundbild von Pixabay

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt von Chefredakteur Martin Bei-Baier

Das Editorial zum Hören:

 

Und zum Nachlesen:

Zu entscheiden, wer eine Chance bekommt und wer mit großer Sicherheit dem Tod preisgegeben wird, ist für die Person eine unvorstellbar große Belastung, die diese Entscheidung treffen muss. Vor einigen Jahren hatte ich hier im Sonntagsblatt  über eine Krankenschwester berichtet, die für Ärzte ohne Grenzen arbeitete und in Krisenregionen der Welt, wie bei Erdbeben oder Seuchenausbrüchen genau dies tun musste. 

Triage heißt das Verfahren, bei dem das medizinische Personal bei Engpässen der Behandlungskapazitäten auswählt, wer noch behandelt wird und wer nicht mehr, weil er nach Augenschein keine Chance hat zu überleben.

Genau das könnte in unserem Land und in unseren Krankenhäusern notwendig werden, befürchten Fachleute seit Ausbruch der Coronaepedemie. Mit Auftreten immer neuer Varianten scheint dieses erschreckende Szenario sehr nah. Jeden könnte es treffen.

Doch eine Gruppe von Menschen könnte stärker betroffen sein  als andere. Menschen mit einer Schwerbehinderung befürchten eine Benachteiligung bei einer möglichen Triage in den Tagen der Pandemie. Ganz von der Hand zu weisen ist diese Gefahr nicht. Zumal eine solche Auswahl vermutlich unter hohem Zeitdruck und psychischem Stress geschehen könnte.  

Um zu gewährleisten, dass Menschen mit schweren und schwersten Behinderungen bei der Entscheidung über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen, die im Laufe der Pandemie eben nicht für alle Behandlungsbedürftigen ausreichen könnten, vor Diskriminierung geschützt werden, beschloss das Bundesverfassungsgericht, dass der Gesetzgeber dagegen Vorkehrungen treffen muss. Betroffene hatten geklagt und Ende des Jahres Recht bekommen.

Dass der Gesetzgeber das jetzt nachbessern muss und es vorher nicht vorgesehen war, zeigt, dass unser Staat keineswegs perfekt ist und wir alle aufeinander aufpassen müssen, damit Risiken erkannt und Lücken ausgebessert werden.

Dass auf der anderen Seite die Schwächsten besonderen Schutz genießen und auf sie geachtet wird, zeigt, dass wir eben doch in einem funktionierenden Rechtsstaat leben – gerade das wird ja in diesen Tagen von Verschwörungstheoretikern und Coronaleugnern bezweifelt. Ethische Überlegungen fallen in unserem Rechtsstaat nicht hinten runter, wenn es einmal hart auf hart kommt.