Lebenslinien: Hellmuth Möhring vom RothenburgMuseum geht in den Ruhestand
Weit hallen die Schritte durch die leeren Gänge des RothenburgMuseums. „So weihnachtlich leer wie jetzt überall in Rothenburg“, meint Leiter Hellmuth Möhring. Das ist im vormaligen Reichsstadt-Museum nicht nur der Morgenstunde geschuldet. Zwei ausgefallene Weihnachtsmärkte in Folge, fehlende Gäste aus dem Ausland und lange Schließzeiten im Gaststättengewerbe haben die Touristenmetropole getroffen. Hinzu kommt der drohende Konkurs einer großen Firma.
Seit dem Nikolaustag liegt das Museum im Winterschlaf und ist geschlossen – unter 2G+-Bedingungen war es dort noch stiller als sonst. Ohnehin kämpfte es mit Gegenwind und den Besucherzahlen. Es ist auf städtische Zuschüsse angewiesen. Zum Jahresende geht Möhring in den Ruhestand. Seine Stelle ist bislang nicht ausgeschrieben.
Keine gute Zeit für ein Abschiedsporträt? Im Frühling, ja da ließe
sich die bekannte Rothenburger Passion vorstellen – fast ebenso bekannt wie der Riemenschneider-Altar in der St.-Jakobskirche. Martinus Schwarz malte die zwölf Passionstafeln im ausgehenden 15. Jahrhundert für die Franziskanerkirche, die das Museum bewahrt. Wäre der Lenz ein wenig weiter vorangeschritten, so ließe sich der Kräutergarten des Dominikanerinnen-Klosters genießen oder der Kreuzgang. Jetzt schmelzen draußen nur die Reste des nächtlichen Schnees.
Weihnachtliches? Hellmuth Möhring zögert. Endlich findet sich etwas Besinnliches: Der Künstler Wilhelm Schacht malte 1907 seine Kinder Rudolf und Betty unter dem Weihnachtsbaum (Foto). Ja, und das Jesuskind! Es spielte gerade in der Mystik der Dominikanerinnen eine große Rolle: Sie wickelten und nährten die Skulptürchen – wohl auch in Ermangelung eigener Kinder. Ein karg bekleidetes Christkindchen aus Lindenholz erhebt seit gut 500 Jahren seine Hand zum Segen. Und den Eingang zur alten Klosterküche bewacht die Madonnenskulptur eines fränkischen Künstlers aus der Zeit um 1440.
Sie bewacht die Pforte zur spektakulären Klosterküche, die rund 200 jahre älter ist. Bis zu 60 Mahlzeiten konnten auf dem riesigen Kamin für die Nonnen, aber auch für Bedürftige oder Pilger zubereitet werden. Mit einer Drehlade ließen sich die Gaben nach draußen verteilen – ohne dass die Nonnen die Klausur unterbrechen mussten.
Die Küche ist ein wichtiger Ausgangspunkt der Museums-pädagogik, die Hellmuth Möh-ring seit 2005 aufgebaut hat: Das mittelalterliche Kochen ist sehr beliebt. Daneben findet sich Töpfern und Malen im Angebot. 250 Schulklassen mit gut 5.000 Kindern und Jugendlichen ließen sich laut Möhring erreichen – meist auf Klassenfahrt.
Eine digitale App erweitert nicht nur die Passion und die Klosterküche um eine zusätzliche Ebene mit Impulsen. Online gibt es längst intensive Erklärungen zu mehreren Schaustücken.
Allerdings sind weite Teile der Ausstellung noch sehr traditionell präsentiert. Gerade die Fayencen oder Waffen aus der frühen Neuzeit reihen sich endlos – akribisch mit Daten versehen, aber wenig miteinander verknüpfend.
Der Freundeskreis des Museums organisiert – so weit nicht von Corona ausgebremst – kleine und feine Führungen an jedem letzten Sonntag im Monat. Plötzlich sprachen selbst die Fayencen oder scheinbar beschauliche Stadtansichten. Viele Vitrinen haben jedoch eine obere zweite Ebene, die gerade für Kinder nicht mehr einsehbar ist.
Barrierefreiheit lässt sich in dem alten Gebäude nur schwer verwirklichen. Trotz vieler Unebenheiten am Boden oder vorspringender Balken oben ist das ehemalige Kloster an sich ein entdeckenswertes Schmuckstück! Doch wegen Problemen mit dem Notstrom waren manche Räume schon nicht mehr zugänglich. Dennoch brauchen viele Kunstwerke eine bestimmte Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Ebenso die Wände – sonst lauert der Schimmel.
Die Energiekosten laufen also weiter. „Reinigen muss man es auch“, ergänzt Möhring. In den 1980-er Jahren waren Balken mit einem Mittel eingesprüht, das Lindan enthält. Wird nicht regelmäßig Staub gewischt, sammelt es sich an.
Ausstellungen gemeistert
Trotz all dieser Hürden hat Hellmuth Möhring viel auf den Weg gebracht: In den vergangenen zehn Jahren hat er ebenso viele Publikationen und 24 Ausstellungen gezählt. Die Schau über „Medien der Reformation“ 2016/17, die Monnickendam-Schau 2019 und die noch laufende Ausstellung über „Rothenburg pittoresk“ und deren Impulse für die Planung von „Gartenstädten“ sind nur die letzten (über die das Sonntagsblatt auch berichtete).
Welche faszinierten ihn besonders? Nach kurzem Nachdenken nennt Möhring die Schau von 2009 über Künstlerinnen in Rothenburg, die zwischen etwa 1890 und dem Ersten Weltkrieg die Reichsstadt für sich entdeckten. Vielfach wurden sie angefeindet und als inkompetente „Malweiber“ verspottet. Doch Frauen wie Elise Mahler und Maria Ressel „waren richtig gut. Das wusste ich vorher nicht“, so Möhring.
Das Gesicht des RothenburgMuseums
Seit einem guten Vierteljahrhundert war nun Hellmuth Möhring das Gesicht des Museums: Dabei war ihm dieses Ziel nicht in die Wiege gelegt: Noch vor dem Abitur meldete sich der damals 18-Jährige im Jahr 1975 zur Marine. Und das, obwohl in seiner Heimatstadt Gunzenhausen damals erst das Stauprojekt zum Altmühlsee noch in der Wiege lag. Im U-Boot zeigte sich dann seine Seekrankheit. Da suchte er lieber wieder sicheres Land auf, sobald die vierjährige Dienstverpflichtung zu Ende war. Nach dem Abitur am Bayernkolleg faszinierte ihn die Kunstgeschichte. In Bamberg studierte er, in Berlin promovierte er 1992 als Kunsthistoriker.
Da hatte er bereits seinen Lebensmittelpunkt nach Rothenburg verlegt: Seit 1990 kümmerte er sich im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme um das Museum. Zunächst musste er Mausefallen inventarisieren. 1995 bewarb er sich auf die freiwerdende Leitungsstelle.
Hellmuth Möhring hat noch einiges vor, bevor er wirklich erst am Silvestertag die Tür hinter sich schließt: Die Räume über das Jüdische Leben in Rothenburg – sie sind ebenfalls voller Schätze, die nicht zu vergessen sind – will er überarbeiten. Er will „Fiktion und Realität des Dreißigjährigen Krieges“ neu erfahrbar werden lassen. Und Vitrinen über das Kinderleben früherer Generationen vor Ort gestalten.
Auch danach will er in der Stadt bleiben und weiter zu ihrer Geschichte forschen – gerade zu ihren dunkleren Zeit, etwa nach den Stürmen des Dreißigjährigen Krieges bis zur Bayerischen Zeit ab 1802. Da sei noch wenig geforscht. War dies eine Zeit des Niedergangs – wie jetzt? Die Menschen damals stemmten sich wohl tapfer dagegen – in Erwartung des Weitergehens oder gar eines Neuanfangs.