Von Abschied und Neubeginn

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Eine der Tankstellen für Anastasia Umriks Leben ist die Natur. In der Stille kann sie sich selbst am Besten zuhören. Foto: Santoso
Eine der Tankstellen für Anastasia Umriks Leben ist die Natur. In der Stille kann sie sich selbst am Besten zuhören. Foto: Santoso

Lebenslinien in Gottes Hand: Wie Krisen unser Leben besser machen können

Auf dem Klappentext ihres Buches steht: „Das Leben ist eigen. Es mutet uns Schicksalsschläge zu, lässt Träume und Pläne wie Seifenblasen platzen. Du gibst alles und bekommst  – nichts!“ Doch stimmt das? 

Mit sieben Jahren kommt sie mit ihren Eltern aus Kasachstan nach Deutschland. Kurz drauf erhält sie die Diagnose Spinale Muskelatrophie und ist auf den Rollstuhl angewiesen. Wegen dieser Behinderung kommt sie auf die Sonderschule. Umrik hat in frühen Jahren lernen müssen, mit Krisen umzugehen. Jahre später wird sie den Begriff „Mutausbruch“ prägen. Nach einem gesundheitlichen Einbruch, der mit einer Nahtod-Erfahrung verbunden war, merkte sie, wie sehr sie das Leben liebt und eine Neuorientierung wollte. Daraufhin hinterfragt sie ihr Leben und räumt mit den „Altlasten“ auf. Die Zeit des Umbruchs  hat sie genutzt, um sich mit ihrem Leben auseinanderzusetzen. Jetzt hat die  34-Jährige ein Buch darüber geschrieben. Inge Wollschläger hat mit ihr darüber gesprochen.

Viele Menschen haben sehr viel zu tun. Wie können sie bemerken, dass sie in einer Krise sind?

Tod, Trennung, Krankheiten oder ein Jobverlust sind natürlich heftige Krisen im Leben.

Meine „Lieblingskrisen“ sind jedoch die kleinen, fast unsichtbaren. Sie gehen einher mit einer unerklärlichen Traurigkeit, einer gewissen Melancholie oder inneren Taubheit. Eine Krise kommt immer leise daher. Dann erzählen Menschen nebenbei, wie blöd der Vorgesetzte ist. Oder dass die Beziehung nicht mehr so ist, wie sie einmal war. Dass unter all diesen Befindlichkeiten eine Krise steckt, will oftmals keiner aussprechen. Ich persönlich glaube mittlerweile, dass sich von fünf Menschen vier in einer Krise befinden. Denn ich sehe wenige glückliche oder lebendige Menschen. 

Es geht dabei nicht um ein immerwährendes Dauergrinsen, sondern um Lebendigkeit. Diese Lebendigkeit, die Kinder haben, wenn sie in ihrem Spiel aufgehen, die Zeit vergessen oder dergleichen. Sie wollen etwas erleben und sind offen für Neues. Irgendwann verlernen es die meisten von uns.  

Insgeheim hoffen wir doch alle, dass der Kelch der Veränderung geschmeidig an uns vorübergehen soll. Wir wollen in eine Zauberkugel steigen und schwupps – als neuer Mensch auf der Bühne stehen. Letztlich ist das Wort „Krise“ auch nur ein Begriff. Wenn man beginnt, es als Übergang zu begreifen, nimmt es oft schon das Drama. 

Im Titel Ihres Buches beglückwünschen Sie die Lesenden zur Krise und das ab jetzt alles gut werden wird. Was ist gut daran?

Ab jetzt besteht die Chance, dass sich etwas im Leben verändern kann. Aus dem Gefühl „Mist, ich stecke fest und habe keine Ahnung, was ich tun werde oder kann“, beginnt auf einmal die Möglichkeit, etwas Neues  zu beginnen. An einer Stagnation im Leben kann nichts besser werden. Mit alten Mustern kann ich keine neue Welt erschaffen.  Es geht darum, dass Menschen sich erinnern, wie sie einmal „gedacht“ waren. Wir ahnen, dass wir zu Größerem berufen sind. Ich glaube nicht, dass wir dazu erschaffen wurden, Fern zu sehen oder sich über die Nachbarn aufzuregen. Es geht darum, mit sich selbst wieder in Kontakt zu treten und mal nachzuspüren: Lebe ich selbst oder werde ich durch andere am Ende gelebt? Durch deren Erwartungen, Muster und Lebensentwürfe, die mit mir selbst wenig zu tun haben. Wenn man nicht irgendwann beginnt, das Leben zu leben, das man führen möchte, hat man es eines Tages aus Versehen versäumt. 

Was kann man durch Krisen lernen?

Alle hatten eine Gemeinsamkeit: Sie gaben mir die Möglichkeit, mein Leben zu hinterfragen und neu zu justieren. Das kann aber nur gelingen, wenn wir ihnen nicht ohnmächtig ausgeliefert sind und uns entsprechend gewappnet haben, um in diesen schwierigen Phasen noch die Kontrolle zu behalten. In schwierigen Zeiten ist es wichtig, sich nicht zu hetzen und in kleinen Schritten weiterzugehen. Eine Krise ist immer eine Begegnung mit sich selbst, in der eine tiefe Sehnsucht zum Ausdruck kommt: Die Wahrheit zu leben, die man tief in sich verspürt.

Ob zu viel Familienfeiern oder Einsamkeit: Weihnachten naht und somit die Möglichkeit, von einer Krise in die nächste zu stolpern. Wie könnte man mögliche Fallstricke umgehen?

Weihnachten ist wirklich nicht ohne und kann ganz schön anstrengend sein. Für mich hat sich bewährt, ehrlich zu sein. Oft gelingt es mir schon, aber nicht immer. Wenn ich keine Lust auf eine Familienfeier habe, dann wäre der erste Schritt, dass ich mir das Gefühl erlauben darf. Und da beginnt das Problem: Es ist ja Weihnachten – das Fest der Liebe. Da darf man so etwas nicht denken oder fühlen. Das „macht man nicht“. Meine „Notfallseelenmedizin“ wäre es, mir selbst mit Sanftheit oder Gnade zu begegnen – und dann hinzugehen. 

Mein persönlicher Fahrplan für die Feiertage wird „mehr schweigen als dummes Zeug zu reden“. Wenn ich merke, dass ich gleich platze, schweige ich besser, damit Situationen nicht eskalieren. Ich drehe jedem möglichen Kampf den Rücken zu. Und manchmal ist es auch nötig, mal auf den Tisch zu hauen und abzuwägen, wie wichtig es für mich wäre, Position zu beziehen. Ich habe gelernt, an erster Stelle für mich da zu sein. 

Eines darf man an solchen besonderen Tagen nie vergessen – egal ob Familienstress oder Einsamkeit: Es ist immer nur ein Tag und nicht mein ganzes Leben.

Das Buch „Du bist in einer Krise. Herzlichen Glückwunsch. Jetzt wird alles gut!“ von Anastasia Umrik ist im Fischer Verlag unter der ISBN-10: 3596706769 erscheinen und kostet 15 Euro.