Schutz und Schirm des Sommers

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Editorial von Susanne Borée, Redakteurin und Chefin vom Dienst beim Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Editorial von Susanne Borée im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Fast eine Stunde lang saß ich unter dem grünen Blätterdach einer Kastanie – mitten im Regen gut beschirmt und in aller Gemütlichkeit. Erst ganz allmählich drangen die Tropfen zu mir durch die Blätter, die mich mit ihren „Fingern“ wie Hände von oben beschützten. 

Auch dies war endlich ein Lohn des Sommers, auf den wir dieses Jahr länger als gewohnt warten mussten. Dafür ließ er sich nun umso intensiver erleben. Spät waren Blätter und Blüten hervorgebrochen. Doch nun erhoben sich stolz die Blütenkerzen der Kastanie gen Himmel. Majestätisch ziehen sie von ferne die Blicke auf sich. Aus der Nähe erscheinen sie feingliedrig und verletzlich.

In den Wochen davor hätte ich so gern immer mal wieder an diesen Blüten und dem Laub ein wenig ziehen mögen – auf dass es ein wenig schneller sprießen könnte. Gerade rechtzeitig fiel mir der afrikanische Spruch ein, der bereits zu Geduld in der Erziehung von Kindern mahnt: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Manche Entwicklungen brauchen einfach die Zeit, die ihnen angemessen ist, um sich verwirklichen zu können. Und auch das Zutrauen, dass eine gute Entwicklung Raum gewinnen kann.

Nicht nur die Lilien auf dem Felde, sondern auch alle anderen Pflanzen bekommen genug, ohne dass sie sich anstrengen oder grämen müssen – so verspricht es die Bergpredigt. 

Das ist allerdings inzwischen alles andere als selbstverständlich geworden. Denn nun zeigt schon ein flüchtiger Blick in einen Wald, wie viele Bäume bereits durch die Trockenheit und Plagen der vergangenen Jahre geschädigt sind oder ihren Kampf bereits verloren haben. Gut, meistens sind es „noch“ Nadelbäume, doch der Klimawandel und seine Folgen machen ihnen bereits deutlich sichtbar zu schaffen. 

Das Zutrauen, dass eine Katastrophe sich noch abwenden lässt, ist deutlich geringer geworden. Das würde in unserer Hand liegen – und wir Menschen erscheinen bei diesen langsamen Konsequenzen seltsam unvernünftig.

Gerade deshalb geschah der Blick in den Wald in den vergangenen langen Frühlingswochen voller Sorgen: Welche der Bäume, die mit ihrem Grünen länger als sonst auf sich warten ließen, würden es schaffen? Und deshalb erfüllte mich die Regenstunde unter „meiner“ Kastanie mit purem Glück. Noch ist segensreiche Feuchtigkeit nicht versiegt. Der Baum beschirmt uns von oben.