Die Weisheit ist die Schönheit des Glaubens

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern über die Kraft der Gebete

„Manchmal reichen meine Gebete nicht bis in den Himmel“ – so resümiert Herr Konrad, regelmäßiger Gottesdienstbesucher, weit über 80, lange Jahre Mitglied im Posaunenchor, mit schwächer werdendem Augenlicht und unsicherem Gang.

Wie wird das sein? Am Ende eines langen Lebens sich zu fragen: Welche meiner Gebete wurden erhört? Habe ich die Möglichkeiten meiner Gebetserhörungen ausgeschöpft? Welche Gebete sind nicht durch die Wolkendecke gedrungen? Welche Gebete haben sich hingegen erfüllt, wie im Flug, noch ehe ich sie ausgesprochen habe?

Durchdringen Gebete die Wolkendecke?

Herr Konrad hat am Ende seines langen Lebens den Eindruck, dass manche Gebete die Wolkendecke nicht durchdrungen haben, manche gar nicht bis zum Himmel reichten. Sein Resümee klingt nicht verzagt oder bitter; nein, er stellt es fest, so wie er feststellt, dass die Gottesdienste in der Kirche ihm fehlen und das gewaltige Chorspiel der Posaunen. Er lächelt, wie er es so sagt. Und dieses Lächeln hat den verschmitzten Ausdruck eines Jungen, der schon irgendwie durchs Leben kommt: mit Gelassenheit, Humor, festem Gottvertrauen und bleibender Neugier. Sein Lieblingslied ist: Befiehl du deine Wege.

Manchmal reichen meine Gebete nicht bis in den Himmel. Sie gehen unterwegs im Lärm der Zeit verloren, bleiben an einem anderen Gebetsanliegen hängen, fliegen quer statt hoch, verfangen sich im Baumgeäst. 

„Das Gebet eines Demütigen dringt durch die Wolken, doch bis es dort ist, bleibt er ohne Trost, und er lässt nicht nach, bis der Höchste sich seiner annimmt.“

Von Gott verlassen hat Herr Konrad sich nie gefühlt; vielleicht mal zeitweilig ohne Trost, aber Herr Konrad wusste, dass Gott ihm nah war, selbst wenn er sich von ihm abgewendet hat. So sehr fromm war er nun ja auch nicht. Aber er wusste, dass Gott mit seinen Ordnungen die Welt gut gemacht hat und schön. Die Musik war ihm dafür ein Beleg.

„Wer Gott dient, den nimmt er mit Wohlgefallen an, und sein Gebet reicht bis in die Wolken.“

Ich finde Herrn Konrad altersweise und ich weiß, dass er von sich sagen würde, dass er Gott mit seinem stetigen Versuch zu glauben und zu beten gedient hat und dass sein Posaunenspiel immer zur Ehre Gottes war.

Die biblische Weisheit ist schillernd. Die beiden Verse entstammen dem Buch Jesus Sirach, 35. Kapitel. Die ganz alltäglichen Weisheiten, die sich darin finden, strahlen vom tiefen und zugleich selbstverständlichen Glauben aus. In diesen Kapiteln entdecke ich gesunden Menschenverstand, Humanität und Gerechtigkeitssinn. „Weisheit ist etwas anderes als Wissen und Verstand und Lebenserfahrung. Weisheit ist das Geschenk, den Willen Gottes, in den konkreten Aufgaben des Lebens zu erkennen.“ (Dietrich Bonhoeffer)

Mich tröstet die Weisheit in ihrer Klarheit. Die Weisheit ist deswegen auch in meinen Augen die Schönheit des Glaubens. So wie Herr Konrad mir immer aus seinem Leben erzählt hat und wie er mitten in diesem Leben geglaubt hat und wie sein Leben dann Schönheit ausstrahlte.

Im Nachdenken über die Weisheit und über Herrn Konrad merke ich, dass dieses Bild der Wolkendecke, an die die Gebete anstoßen, nichts ausgrenzendes hat. Es gibt keine Grenze oder Mauer. Gott hat alle trennenden Grenzen zu sich aufgehoben. Wollte Gott doch uns alle, als seine Kinder. Wollte Gott doch uns alle, als begnadete Menschen, als gekrönte Häupter. Schön sind wir so – in Gottes Augen. Und klar ist der Weg – nach seinem Willen.

Dekanin Christine Schürmann, Prodekanat Nürnberg-Ost