Nichts passiert – damals vor 500 Jahren? Anno 1520 war es still um Martin Luther geworden. Er nutzte die Zeit, in der die Weltgeschichte anderweitig beschäftigt schien: Nach dem Tod Kaiser Maximilians 1519 musste erst einmal ein neuer Herrscher gewählt werden: Dessen jugendlicher Enkel Karl V. gewann das Rennen um die Macht.
Doch bei dieser scheinbaren Ruhe vor dem Sturm im Jahr 1520 lohnt es, den Blick von den äußeren Ereignissen nach innen zu lenken. Es scheint im Rückblick fast, als wenn der Reformator sich in diesen Monaten auf die kommenden Stürme vorbereitet hätte. Der Reformator schrieb in diesen Monaten wie im Wettlauf mit der Zeit eine Schrift nach der anderen.
In seiner wegweisenden Schrift der „Freiheit eines Christenmenschen“ zieht Luther eines seiner wichtigsten theologischen Fazite: Freiheit kann nur dort recht verstanden sein, wo sie sich durch verantwortliches Handeln selbst beschränkt.
Wie lässt sich das Verhältnis zwischen diesen Polen bestimmen? In den Zeiten von Corona und des Klimawandels gewinnt diese Frage eine ungeheure brennende Aktualität. „Wir machen Fehler mit weit über uns selbst hinausreichenden Folgen“, so Sonja Poppe. Wie lässt sich Verantwortung übernehmen?
Unser Umgang mit digitaler Intelligenz führt uns gleichfalls die tiefe Wahrheit der Warnung Luthers neu vor Augen: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ Nicht Roboter sind das Problem, sondern unser Umgang mit ihnen. Er schwankt zwischen Faszination und Hilflosigkeit gegenüber der Konsequenz der Maschinen. Wir weigern uns, ihnen mit durchdachten Werten zu nähern.
Wie nutzen wir Zeiten der Ruhe und der Konzentration auf uns selbst? Auch diese Frage ist in diesem Herbst brandaktuell geworden. Der rasend schnelle Anstieg der Corona-Zahlen zwingt uns wohl dazu, unsere Kontakte wieder möglichst zu beschränken.
Vor 500 Jahren überstürzten sich nach dem scheinbaren Stillstand für Luther die Ereignisse: Anfang 1521 die Auseinandersetzung wieder Fahrt auf. Der Papst bannte den Reformator. Im Frühjahr begann dann der Reichstag zu Worms: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, soll Luther ausgesprochen haben. Kaiser Karl bannte ihn. Er fand auf der Wartburg einen sicheren Ort. Wo finden wir unsere Zuflucht?