Andacht: Bebauen und Bewahren – gelingt es?

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.

1. Mose 2, 15

Komm, wir geh‘n in den Garten – verheißungsvolle Worte für das Mädchen, das in den 60er Jahren inmitten einer Kleinstadt aufwächst, ein öde gepflasterter Hinterhof beim Haus. Der Garten aber, der Schrebergarten der Großeltern, ist ein Paradies. Ein wenig verwildert, viel Grün in allen Schattierungen. Schon am Eingang grüßen Vergissmeinnicht und Butterblumen, zwischen weiß und lila blühendem Moos. Darüber ein Traum aus Flieder. Brummende Hummeln, ein Geschwirr aus feinflügeligen, emsigen Insekten. Zartrosa blühender Apfelbaum, Beerensträucher, duftende Gräser und Kräuter. Im Spätsommer leuchten die Farben. Der alte Birnbaum hängt übervoll, und die vom Großvater geernteten Birnen schmecken unvergleichlich gut.

Der Garten der Kindheit – in der Erinnerung ein Paradies. Hier konnte sie ungestört sein, sich Geschichten ausdenken, träumen.

Komm, wir geh’n in den Garten. In der biblischen Erzählung aus dem 1. Buch Mose pflanzt Gott einen Garten und setzt sein aus der Erde neu geschaffenes Wesen dort hinein. Er bläst ihm den Odem des Lebens in die Nase, schenkt ihm Bäume mit wohlschmeckenden Früchten. Vier Ströme bewässern den Garten. Für vielfältiges Leben ist bestens gesorgt. Der Mensch bekommt alles geschenkt – und dazu kommt ein Auftrag: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“

Aus dem Kind wird eine Frau, die Großeltern sterben, der Garten wird verkauft. Aber er hat sich ihr für immer eingeprägt. In den 80er Jahren begeistert sie sich für den „Konziliaren Prozess“, den gemeinsamen Lernweg christlicher Kirchen zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Bebauen und bewahren. Das ist der Auftrag. Und so engagiert sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Sicher wäre auch mehr möglich gewesen, aber es war immer so viel zu tun. Die beruflichen Aufgaben, heranwachsende Kinder, alt werdende Eltern – plötzlich ist das Mädchen von damals sechzig Jahre alt.

Ein anderes Mädchen sitzt in einer großen Stadt auf der Straße. Mit entschlossenem Gesicht und einem Plakat, auf dem steht „Skolstrejk För Klimatet“. Im September 2019 ist aus dem Schulstreik für das Klima eine weltweite Bewegung geworden. Es gibt ein Pro und Contra zum Thema „Fridays for Future“. Heute, im September 2020, erscheint die Aufregung über das Bestreiken eines Schulvormittages eher seltsam.

Bebauen und Bewahren. Unbeirrbar wie einst große Propheten erinnern Greta Thunberg und andere junge Menschen an den Auftrag. Der bleibt bestehen, auch in der Coronakrise. Hat diese neue Krise ebenfalls etwas damit zu tun, dass wir Menschen den Auftrag Gottes nicht ernst genommen haben? Unsere Welt – ein von Gott gepflanzter Garten. Ein wenig verwildert sollte er bleiben, mit viel Platz für vielfältiges Leben. Bebauen und bewahren. Ob es uns gelingt?
Dekanin Karin Hüttel,
Bad Windsheim

Gebet:

Geist Gottes, rühre meine Sinne an und mein Herz, dass ich die Schönheit der Erde erkenne und lieben lerne. Schenk Mut und Fantasie für den Auftrag, sie als deinen Garten zu bewahren. Amen.

Lied 640:

Komm, bau ein Haus, das uns beschützt. Pflanz einen Baum, der Schatten wirft …