Andacht: Danke, weil du gut bist

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den HERRN lobte: „Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig“, da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des HERRN, sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus Gottes.

aus 2. Chronik 5

Doch, er steht jetzt auch auf. Lange hat er mit sich gerungen in seiner Bank. Die Leute gehen an ihm vorbei, nach vorn, zum Altar – Abendmahl ist. Er wollte erst nicht. Denn dass der Herrgott seine Elsa im April zu sich geholt hat, darüber ist Günther wütend. Er will nicht mit ihm reden – seine Lippen sind zusammengepresst. Vom Singen ganz zu schweigen. Mit Gott „kommunizieren“ – Nee! Ausgerechnet Ende April! Wenn die Apfelbäume blühen und man alles für möglich hält, nur nicht den Tod. Wenn die Welt viel zu schön ist, um zu gehen. Hätte er doch warten können, bis November ist, oder nächstes Jahr. Günther nimmt dem Herrgott das übel: „Soll er doch sehen, was er davon hat“ und damit geht er langsam nach vorne.

Vorhin läuteten die Glocken. Er schreckte auf, weil er an Elsa dachte, die so fehlt, mit ihrem unerschütterlichen Optimismus und ihren hoch gekrempelten Ärmeln, mit ihrer Sicht der Dinge. Ihre Geräusche. Grad jetzt, wo alle daheimbleiben sollten. Sie ging immer rüber in die Kirche, wenn‘s läutete. Heute geht Günther rüber und setzt sich hin, auf „seinen“ Platz. Hinten, weit genug von den Anderen weg. Sieht aus wie immer, nur dass die Leute jetzt bis ganz vorne sitzen. Sie schauen mit „dem Blick“ zu ihm rüber. „Lasst mich doch in Ruh!“, denkt er sich. Und grüßt trocken zurück, lächelnd mit traurigen Augen. Die Pfarrerin ist eine Feine. Sie hat Elsa beerdigt. Das hat sie gut gemacht. Hat sie grad rüber gelächelt? Ah ja! Er nickt kurz. Dann geht’s los. Der Gottesdienst hat was Vertrautes, auch wenn es an ihm verbeirauscht. 

Die Anderen beten. Günther kriegts nicht mit. Will er noch dableiben? Oder doch lieber heim? Früher hat er im Posaunenchor mitgespielt. Ein Bild von vor zwei Jahren taucht auf, als wärs gestern gewesen. Auf der grünen Wiese an Himmelfahrt. Zweihundert Bläser spielen und er sieht seine Elsa, seine Liebe: Als einzige von allen steht sie. Sie hat Tränen in den Augen und singt unglaublich laut mit. Da war sie schon krank. Elsa liebte Musik. Das Singen. Das Tanzen. Das Leben. Sie sagte immer, dass sie Gott dann am meisten spürt, wenn sie mit anderen singt. Und sie wollte Gott loben – ganz egal, wie es ihr ging.

Warum fällt ihm das jetzt ein? Fragt er sich. Und findet sich auf einmal wieder in der Schlange zum Abendmahl. Die anderen singen. Die Orgel führt und gibt den Rhythmus. Wie aus einer Kehle klingt es – wie damals auf der Wiese: „Ich singe dir mit Herz und Mund“. Er kanns auswendig. Elsa hats immer gesungen. Und er singt mit, spürt: Gott ist da, weiß: Gott ist bei Elsa. Alles ist gut – für den Bruchteil einer Sekunde. Elsa hat immer gesagt, dass der einzige Grund Gott zu loben, Gott selber ist. Sie wolle nicht nur vor Gott stehen und sagen: „Herr ich danke dir, weil du mir gut tust“ – freilich, das auch. Sondern: „Herr ich danke dir, weil du gut bist.“ Das glaubte sie. Bis zuletzt. 

Nach dem Abendmahl setzt er sich wieder hin. Gott sitzt neben ihm. Zusammen sitzen sie da und sind zusammen noch eine kleine Weile traurig. Bis sie schließlich aufstehen und rausgehen, um zu gucken, was das Leben so macht.

Pfarrer Norbert Roth, München

Lied 324: Ich singe dir mit Herz und Mund!