Ein Leben für Begegnung der Religionen

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Johannes Lähnemann im vergangenen Jahr zwischen dem Münchner Erzbischof Reinhard Marx und dem evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Foto: Privat
Johannes Lähnemann im vergangenen Jahr zwischen dem Münchner Erzbischof Reinhard Marx und dem evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Foto: Privat

Lebenslinien in Gottes Hand: Johannes Lähnemann engagiert sich für Glaubensdialoge

Ein gemeinsames Morgengebet am Strand Australiens bei Melbourne: Anfang 1989 kamen dort Vertreter von 17 Religionen zusammen. Während die Sonne langsam aus dem Wasser stieg, meditierten buddhistische Nonnen und rezitierten Juden aus den Psalmen. Zwei Angehörige der Jain-Religion stiegen „in ihren weißen Gewändern in die Fluten und verrichteten dort in der aufgehenden Sonne ihr Morgengebet. Johannes Lähnemann selbst blies auf seinem kleinen Horn den Choral „Morgenglanz der Ewigkeit“.

So erinnert sich der Religionspädagoge. Seit gut 30 Jahren also engagiert er sich für die religiöse Verständigung. Ende 2019 legte der pensionierte habilitierte Nürnberger Religionspädagoge die Grundsteine für eine Bilanz, die nun gerade herauskamen: Geht das, über die unterschiedlichen Religionen nicht nur im Gespräch zu bleiben, sondern auch gemeinsam Andacht zu halten?

Oder ist dies nicht eine unzulässige Vermischung? Gleich nach einer ersten Gebetsstunde am Buß- und Bettag 1989 in der Reformierten St. Martha-Kirche in „einer Atmosphäre von einer besonderen Dichte und Wärme“ gab es offizielle Beschwerden an den damaligen Nürnberger Kreisdekan und späteren Landesbischof Hermann von Loewenich.

Er ging sehr offen damit um, so stellt es Johannes Lähnemann in seiner Dokumentation dar. Es gab ein Gespräch mit Geistlichen des Dekanats, die diesen interreligiösen Dialog ablehnten. Dies führte „nach gründlicher Erläuterung unserer Motive, des Selbstverständnisse und der Rahmenmaßnahmen“ endlich „zu so viel Einverständnis, dass es bei den späteren Gebetsstunden ähnliche Probleme nicht mehr gab“.

Was aber, wenn die Messlatte des Christentums keine Geltung mehr hat? Denn „der eigenständige Glaubensweg jeder Religion soll respektiert werden.“ Andererseits führe das Gespräch über Kernpunkte der Religion auch zu einer tieferen Durchdringung des eigenen Weges. Denn dann gilt es, anderen diesen Pfad und seine besonderen Wegweiser zu erklären, ohne dass sie bereits als selbstverständlich angenommen werden können.

Viele Impulse sind in den vergangenen Jahrzehnten der Arbeit entsprungen: Besuche bei den einzelnen Religionen waren Lähnemann bei seiner Arbeit immer wichtig. Auch jetzt zu Corona-Zeiten gilt es für ihn in Verbindung zu sein. Und Glaubensformen erfahrbar zu machen. So begann er, an seinem Ruhestandssitz Goslar abendlich von den Kirchtürmen oder für die Nachbarschaft Choräle zu blasen. „Jeden Tag eine Melodie aus einem anderen Land.“ Er schließt sein Konzert mit der Europa-Hymne.

Hunderte von E-Mails sendet der Theologe in alle Welt. Viele davon bieten Impulse für Gespräche, der Dialog hat durchaus seine Grundsätze: Es darf keine Abwerbung von Menschen aus anderen Glaubensrichtungen mit unlauteren Mitteln geben, „auch wenn jeder ernsthaft Gläubige für seine Religion in Wort und Tat Zeugnis geben wird.“ Und es gilt, auch religiöse Minderheiten im Blick zu behalten. „Jede der bei uns tätigen Glaubensgemeinschaften konnte und kann auf Bedrängnisse verwiesen, die Menschen ihres Glaubens wegen erlitten haben und erleiden.“ Der runde Tisch der Religionen bezog in Nürnberg immer wieder Stellung zu aktuellen Problemen. Da diente der Rat der Religionen als Ansprechpartner für die Stadt bei direkten Problemen und Bildungsfragen.

Der Religionspädagoge engagierte sich ebenfalls dafür, dass das „Erlanger Modell“ für die islamische Religionslehre Gestalt annehmen konnte – ebenso wie Lehrpläne für die verschiedenen Klassen und Schularten. Das „Interdisziplinäre Zentrum für Islamische Religionslehre“ entstand 2002 als Plattform für die islamische Religionslehrerausbildung. Inzwischen gäbe es an deutschen Universitäten 30 Lehrstühle, die Studierende darauf vorbereiten.

In der Zentralbotschaft jeder Religion fände sich die Sehnsucht nach Frieden, so Lähnemann. Doch gibt es in jeder Religion nur einen schmalen Grad „zwischen persönlichen, inneren Frieden“ und Aggressionen, so hat Lähnemann beobachtet. Und hier ist es gegenwärtig – gerade angesichts der religiösen Faktoren in vielen Konflikten auf der Erde – notwendig zusammenarbeiten. In Nürnberg kamen da bereits direkt nach dem 11. September 2001 Vertreter verschiedener Glaubensrichtungen zu bewegenden interreligiösen Gebeten zusammen. Dort riefen in besonderem Maße Muslime zu Frieden und Verständigung auf.

Denn auch im muslimischen Bereich gäbe es Diskussionen über die Entstehungssituation eines Textes, des Zusammenhanges, in dem er steht, und dem Bezug zum Gesamtcharakter der Heiligen Schrift. Gerade gewalttätige Visionen seien dann entstanden, wenn eine Glaubensrichtung sich in bedrohlichen Unterdrückungssituationen befand. So lassen sich entsprechende Texte des Korans deuten, aber auch die bildreichen Beschreibungen aus der Apokalypse des Johannes während der Verfolgung der Christen durch Rom. Dort wurde farbenprächtig ausgemalt, wie die Feinde des Glaubens am Ende zugrunde gehen.

Über kriegerische Auseinandersetzungen lassen sich globale Probleme nicht lösen – diese Friedensbotschaft ließ sich für Lähnemann bei vielen Anlässen formulieren. Auch die Bewahrung der Lebensgrundlagen ist für ihn so ein interreligiöses Thema. Spiritualität und ethische Herausforderungen gehören für Lähnemann direkt zusammen: Die „Gebetsstunden der Religionen können der gemeinsamen Weltverantwortung der Religionen den Boden bereiten“: etwa um der Ehrfurcht vor dem Leben gerecht zu werden und gegen oberflächigen Konsum einzutreten. Solche Traditionen gelte es zu stärken, um Fanatikern zu zeigen, dass sie nicht die Essenz ihrer Religion repräsentieren.

Da sieht Johannes Lähnemann trotz der aktuellen Krise viele weitreichende Hoffnungszeichen. Dies ging für ihn auch nach seinem Ruhestand bei zahlreichen Vorträgen weiter. Und während jetzt der Lehrbetrieb wegen Corona zum Stillstand gekommen ist, bläst er weiter auch „We shall overcome“. Hand in Hand weiter zu gehen, wie es in der dritten Strophe dort heißt, das ist ihm wichtig – auch im Angesicht Gottes. Es kann weiter tragen. Schließlich lautet 2020 das Jahresthema der Nürnberger Gruppe „Religionen für den Frieden“ „Musica sacra – Musik der Religionen im Dialog“. Das kann in Krisenzeiten weitertragen. 

Buchtipp: Johannes Lähnemann: Begegnung – Verständigung – Kooperation. Interreligiöse Arbeit vor Ort – Erfahrungen und Perspektiven aus Nürnberg. Vandenhoeck und Ruprecht-unipress-Verlag 2020, ISBN 978-3-8471-1112-2, 132 Seiten, 28 Euro.