Gott ist unsere Zuversicht

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In Zeiten der Pandemie zeigt sich der Staat in den USA von seiner unbarmherzigen Seite. Mit einem Lastwagen werden in einer jüdischen Gemeinde New Yorks Lebensmittel gesammelt. Pfarrerin Miriam Groß von der deutschen evangelischen Gemeinde hilft beim Packen. Foto: Groß
In Zeiten der Pandemie zeigt sich der Staat in den USA von seiner unbarmherzigen Seite. Mit einem Lastwagen werden in einer jüdischen Gemeinde New Yorks Lebensmittel gesammelt. Pfarrerin Miriam Groß von der deutschen evangelischen Gemeinde hilft beim Packen. Foto: Groß

Deutsche Gemeinde in New York geht in Krisenzeiten neue Wege – Teil 2

Unsere Autorin Miriam Groß ist Pfarrerin der bayerischen Landeskirche, im Dienst bei der deutschen Gemeinde St. Pauls in New York. Ihre Andachten, aber vor allem auch durch Berichte aus der US-Metropole ist sie im Sonntagsblatt immer wieder präsent. In einer kleinen Serie berichtet sie nun vom Alltag in der Krise.

Ich atmete schwer ein und ließ mich schwer in den Autositz fallen während ich die Türe mit einem hastigen Ruck hinter mir zuzog. Die Maske klebte feucht an meinem Mund während mir die Worte in der Geborgenheit meines Autos in meinen Ohren dröhnten: „An Yom Kippur steht fest, wer leben wird und wer sterben wird, wer das Ende seiner Tage erreicht und wer nicht … wer durch Hunger und wer durch Durst…“. Mit den inzwischen gewohnten Handbewegungen zog ich mir die Plastikhandschuhe von den verschwitzten Händen und riss mir mit einer Handbewegung die lästige, aber notwendige Maske vom Gesicht, die umgehend in einer Plastiktüte verschwand.

Ich atmete noch einmal tief ein und aus, während ich in der gewohnten Umgebung meines Autos das Gefühl hatte, endlich wieder ich sein zu dürfen. Mit mehreren Freiwilligen hatte ich in der Synagoge einer jüdischen Freundin Essenspakete für illegale Immigranten gepackt. Die kleine Gruppe von Freiwilligen kämpft mit dem wachsenden Bedarf an Essensspenden, die an die Ärmsten der Armen ausgegeben wird. 940.000 illegale Immigranten leben laut des Migrations-Strategie-Amtes („Migration Policy Institute“) in New York. 31 Prozent dieser ohne Genehmigung in den USA sich aufhaltenden Personen stammen ursprünglich aus Mexiko und Zentralamerika.

Bedrohte Existenz

In gebührenden Abstand packte neben mir ein älterer Herr simultan zu meinen eigenen Bewegungen Essenstüten nach den Anweisungen meiner jüdischen Freundin. Tomaten- und Bohnendosen, getrocknete Früchte, Reis, Müsliriegel und Grapefruits füllten alsbald die hellbraunen Papiertüten. Im Supermarkt hätte man diese sicherlich für rund zehn Dollar erwerben können, doch für viele stellen sie eine lebensrettende Ration an Lebensmitteln dar. Aufgrund des Arbeits- und Ausgangsverbotes, das inzwischen in New Yorker gilt, die in sogenannten „nicht essentiellen“ Berufen arbeiten, verloren vor allem illegale Immigranten ihre unsicheren und bereits schlecht bezahlten Arbeitsplätze. Sie sind die sekundären Opfer dieser weltweiten Pandemie in den USA. Eine Gruppe von Menschen, die weder Stimme noch Rechte besitzt und umgehend in ihrer Existenz bedroht sind. Trumps Wirtschaftshilfe greift in diesem Fall nicht, denn die versprochene Unterstützung wird nur den US-amerikanischen Staatsbürgern zukommen.

Während die Lebensmittel in den braunen Tüten verschwanden, unterhielt ich mich leise mit meinem Nachbarn, der sich neugierig nach mir erkundigte. Als er erfuhr, dass ich aus Deutschland stammte, hielt er mitten in der Bewegung inne. Er stamme auch ursprünglich aus Deutschland, aber dorthin wolle er nie wieder zurück und er kaufe keinerlei Produkte aus diesem Land.

Die Bürde im Herzen

Mein unter der Maske verborgenes Gesicht zerfiel merklich während die Bürde auf meinem Herzen noch größer wurde als es die gegenwärtige Tätigkeit schon war. „Weißt du“, sagte Robert schließlich, „deine Generation kann nichts dafür. Aber wir können etwas dafür, ob es diesen armen Menschen schlechter oder besser geht. Sie brauchen dieses Essen. Alles andere ist jetzt gerade nicht relevant.“

Und so packten wir Tisch an Tisch Essenstüten für illegale Immigranten, die schon bald zum Hauptverteilort gefahren werden würden. Dort warteten sie bereits seit Stunden, um eine der lebensnotwendigen Essensrationen zu erhalten.

Wer leben wird

Während die letzten Dosen ihren Platz fanden, hielt Robert in seiner Tätigkeit inne. „Kennst du das jüdische Gebet „Unetanah Tokef“, das wir an Yom Kippur sprechen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Hier heißt es: An Yom Kippur steht fest, wer leben wird und wer sterben wird, wer das Ende seiner Tage erreicht und wer nicht … wer durch Hunger und wer durch Durst … Aber Buße, Gebet und Rechtschaffenheit verhindern ein schweres Urteil.“ Er hielt nachdenklich inne. „Weißt du, das allein ist jetzt wichtig. Und allein, dass du da bist und hilfst, zeigt mir dein Herz und deinen Glauben.“

In dieser Pandemie zeigt sich die USA von ihrer wohl schlimmsten und unbarmherzigsten Seite. Nicht nur durch ein nahezu kollabierendes und viel zu teures Gesundheitssystem, sondern durch die unbarmherzigen Härten des puren Kapitalismus.

Nur durch Menschen wie Robert, die in ihrem Glauben gegründet sind und ihre eigene Gesundheit als Akt der Nächstenliebe aufs Spiel setzen, können diese Härten ein wenig gemildert werden. Mich macht es gegenwärtig mut- und ratlos und ich kann mich nur an den Worten des 46. Psalms festhalten während ich das Meine dazu tue, um die Not zu mildern: „Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.“

Pfarrerin Miriam Groß

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