Andacht: Zärtlichkeit und Schmerz

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Und als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen unterei­nander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? 

aus Markus 14,3–9

Liebe…, ja wie soll ich Dich eigentlich anreden? Dein Name wurde nicht überliefert. Was Du getan hast, wurde anscheinend für so nebensächlich und unbedeutend oder vielleicht auch ärgerlich und anstößig gehalten, dass man die Erinnerung an Dich nicht für sonderlich pflegebedürftig hielt.

Darf ich einmal vermuten, dass das auch daran liegt, dass Du eine Frau bist? Von anderen sind die Namen ja durchaus erhalten geblieben. Z.B. von Petrus, dem Fels (wie lächerlich!), dem Verräter und Feigling, der schläft und zum Schwert greift. Warum weiß ich seinen Namen, den Deinen jedoch nicht?

Was steckt dahinter, dass die Namen derer, die Verrat und Großspurigkeit großschreiben, erinnerungswürdig sind, während Dein Name – verbunden mit einer großartigen Tat der Liebe – verschwiegen wird? Was steckt dahinter, dass man Jesus Lügen straft, der Dir das Gedenken an Dich verheißen hat?

Darf ich weiter vermuten, dass auch das mit an einer Großspurigkeit liegt, die sich keine Blöße geben will? Könnte es sein, dass das Verschwinden Deines Namens damit zu tun hat, dass Du dieses unwürdige Spiel des ewigen Drüberstehens nicht mitgemacht hast? Dass Du akzeptiert hast, einmal nicht alles im Griff haben zu müssen, nicht alles unter Kontrolle halten zu können, nicht für alles ein Wort oder einen Ausweg kennen zu müssen? Welch eine Verunsicherung muss von Dir ausgegangen sein, von Deiner stillen und doch so laut redenden Liebestat?

Eine Verunsicherung für alle, die auf Sicherheit, Kontrolle und Distanz setzen. Eine Verunsicherung für alle, die neben dem großen Wort die andere Sprache, die Sprache Deiner Hände und Deiner Augen, verlernt haben.

Ich sehe Dich vor mir, wie Du seine Stirn mit Deinen Händen berührst und glatt streichelst. Wie die zusammengezogenen Falten sich glätten und wie die Verkrampfungen in seinem Nacken sich lösen unter der Wärme Deiner Finger und dem Duft Deines Öls. Ich sehe Dich vor mir, wie Du ihn nur ansiehst – wissend, dass nichts aufzuhalten ist, aber doch manches vorbereitet werden kann. Wie er sich unter Deinen Händen und Augen entspannt. Sein Atem ruhiger und seine Gedanken geordneter werden.

Je länger ich Dich so sehe, Dich und Dein zartes Lieben, desto mehr spüre ich, wie sich auch in mir selber Verkrampfungen lösen. Wie mein eigener Atem ruhiger wird und auch meine Gedanken sich ordnen. Wie Ängste sich verlieren vor der Schwachheit und Ohnmacht. Vor dem Verlust der Worte. Ängste auch vor Berührung und Nähe. Deine Berührung hat nicht nur Jesus gutgetan – sie entspannt und beruhigt auch mich. Deine stille Liebe und Dein leises Schenken machen mir deutlich, nicht alles wissen und können zu müssen. Nicht auf alles eine Antwort haben zu müssen. Sie stärken mich, an die Sprache des Schweigens zu glauben. An die Sprache des Berührens und des Da-Seins. Die Sprache des Mitgehens und Mitleidens.

Noch ist sie mir weitgehend fremd und begierig höre ich Dir zu. Sauge Deine stille Botschaft in mich auf wie ein trockener Schwamm. Du bist ja eine geduldige Lehrerin, wie Du es 2.000 Jahre lang warst.

Noch immer weiß ich Deinen Namen nicht. Noch immer schweigst du lächelnd. Ich aber will nicht länger schweigen, sondern weitererzählen, von Dir und Deiner zarten Liebe, die mich so tief berührt und in Bewegung bringt.

In Verbundenheit Dr. Juliane Fischer, Pfarrerin Emmauskirche Hallbergmoos