Andacht: Gott trägt die Scham mit

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Jesus hat, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

Hebräer 13, 12–14

Draußen vor dem Tor Jerusalems lag Golgatha, die Schädelstätte, Ort zahlloser Kreuzigungen. „Draußen vor dem Tor“ klingt auch heute nicht nach einem erstrebenswerten Ort. Es hat was von „ich bin aus­geschlossen, abgesondert, allein, fremd, ein Flüchtling…“. Seit 13 Jahren besteht meine Gemeinde aus den Gefangenen der Justizvollzugsanstalt München. Sie hören Bibelworte oft mit anderen Ohren. „Wir haben hier keine bleibende Stadt“ wird zur frohen Botschaft. Denn wo sie gerade sind, wollen sie bestimmt nicht bleiben. Und bei „draußen vor dem Tor“ denken viele an das Gefängnistor, durch das ein jeder früher oder später in die Freiheit tritt. Da wird dann erzählt, was man als Erstes machen will.

Und doch gibt es zugleich die Angst vor diesem „draußen vor dem Tor“. Angst, die Strafe gehe dort weiter. Manch einer fürchtet sogar, dort käme der schwerere Teil. Wenn es beim Friseur oder Optiker heißt: „So einen wie Sie bedienen wir nicht.“ Wenn die Firma sagt: „Mit Ihrem polizeilichen Führungszeugnis – keine Chance.“

Gefangene wissen, wie es sich anfühlt, wenn ich vor Scham in Grund und Boden versinken möchte. Und sie fragen: wie lange dauert das? Wile lang nennt man mich Mörder, Junkie, Lügner, Versager? Ich habe meine Strafe doch abgesessen, all die Jahre in diesem lieblosen Knast. Ich habe Therapie gemacht, mich entschuldigt, es so bereut. Ich bin doch so vieles andere auch: Vater, Ehemann, Maurer, Christ, Lehrer, Installateur, Bayernfan, Weinkenner, ein alter Sozi, ein Erbsenzähler, ein Grübler, einer, der das Herz am rechten Fleck hat?

Sagen Sie doch, Herr Pfarrer, wie lange werde ich nur nach meinem Scheitern benannt? Wie lange muss ich diese Schmach noch tragen?

Der Hebräerbrief fordert uns auf: So lasst uns nun hinausgehen und Jesu Schmach tragen. Was soll das für eine Schmach sein? Gut, Jesus starb zwischen zwei Mördern den schmachvollen Kreuzestod eines Verbrechers. Aber wir alle wissen: Jesus war unschuldig, Opfer einer blutrünstigen Justiz. Er war der Gute, der sein Leben gab. Und damit doch wohl der Letzte, der sich zu schämen bräuchte.

Jesus ging es aber wohl nicht darum der Gute zu sein und den glänzendsten Heiligenschein zu tragen. Es ging ihm wohl eher darum, bei Menschen zu sein, die statt einem Heiligenschein Schmach tragen, die sich bis aufs Blut schämen. Ihm war es so ernst damit, dass er dafür sein Blut und Leben gab.

Scham wird kleiner, wenn ich nicht allein bin. Wenn ich das Gefühl habe, da ist jemand bei mir und erträgt meine Schmach ein Stück weit mit mir. Gott sei bei mir, sagt die Bibel.

Pfarrer Felix Walter, Evangelische Seelsorge JVA München